We Are Winter’s Blue And Radiant Children (WAWBARC) ist ein Quartett aus Montréal, Kanada, das sich 2024 im Umfeld der Soundtüftler von Constellation Records formiert hat. Es überrascht daher nicht, dass die Mitglieder der Band keine Unbekannten sind: Mat Ball kennt man von Big Brave, Efrim Manuel Menuck gehört zu Godspeed You! Black Emperor, All Hands_Make Light und Thee Silver Mt. Zion, während Jonathan Downs und Patch One (alias Peter Swegart) von der Post-Rock-Formation Ada kommen. Diese Namen stehen allesamt für erhabene, effektlastige und expansive Drone-Landschaften – tranceartigen Post-Rock voller Verzerrungen und noisiger Fragmente.
We Are Winter’s Blue And Radiant Children
No More Apocalypse Father
Veröffentlicht: 13. September 2024
Label: Constallation Records
In the dirty old new world stink
Textausschnitt aus „No More Apocalypse Father“
A table set with bayonets
Bankers, cops, and monarchists
Mercenariеs and therapists
In the dirty old new world stink and sunshinе
Das Debütalbum des kanadischen Quartetts, das an wenigen Tagen im August letzten Jahres aufgenommen wurde, entfaltet seine volle Kraft besonders inmitten einer klirrenden Kältewelle. Die Band verfolgt das erklärte Ziel, die düsteren Momente des Winters in Montréal musikalisch einzufangen, dabei aber auch die Wärme und Geborgenheit rund um den heimischen Ofen zu vermitteln. Es geht darum, Trostlosigkeit aus der Sicherheit eines geschützten Ortes heraus spürbar zu machen. Oder wie Menuck es formuliert: „Wir würdigen die Vorstellung des Winters, wenn man hereinkommt und sein Haus warm ist – ein Ort, der nur existiert, weil es draußen so kalt ist.“
Unterschwellig bedrohlich
So überrascht es nicht, dass die sechs langen Tracks des Albums einerseits eine tiefe, innere Ruhe ausstrahlen, gleichzeitig jedoch stets eine unterschwellige Bedrohlichkeit mitschwingt. Verzerrungen schweben im Raum, schroffe Gitarrensounds mäandern, unterlegt von dronigem Ambient-Noise. Zwar gibt es klassische Elemente wie Gesang, Instrumentierung und Rhythmus, doch fühlt sich keiner der Tracks wirklich liedhaft an – erwähnenswert ist auch, dass die Band komplett auf Schlagzeug verzichtet. Menucks schleppender Gesang bleibt frei von traditionellen Vers- oder Refrainstrukturen, während die Instrumente zu einer sphärischen Klanglandschaft verschmelzen, die trotz ihrer Unschärfe nie die Melodieführung verliert. Der Rhythmus ist oft nur ein pochender Synthesizer.
Wiederholungen als Stilmittel
Musikalisch wie textlich ist Wiederholung ein zentrales Stilmittel: Mehrere Tracks beginnen schleichend mit einem plunkernden Bass. Die Phrase „helicopters northward“ taucht sowohl im Opener „Rats and Roses“ als auch im über 13-minütigen Song „Dangling Blanket From A Balcony (White Phosphorous)“ auf. Im ersten Stück beschreibt Menuck einen alten Mann, der versucht, seine Rosen vor einer Rattenplage zu retten, dabei jedoch ungewollt auch Vögel vergiftet. Im zweiten Song wird „helicopters northward“ in einen Kontext gesetzt, der Gossip (wie Michael Jacksons berüchtigtes Kind-über-dem-Balkon-Ereignis von 2002), den scheiternden Versuch der Selbstoptimierung und den Einsatz von weißem Phosphor in militärischen Konflikten miteinander verknüpft – eine Kriegstechnologie, die aktuell vom israelischen Militär in Gaza und Südlibanon verwendet wird. Der Schlusstrack „(Goodnight) White Phosphorous“ greift dieses Thema erneut auf und unterstreicht die Hilflosigkeit und Unvollkommenheit, mit der wir Katastrophen und Belanglosigkeiten oft gleichermaßen Bedeutung beimessen.
Lärm trifft auf Ambient
Diese Widersprüche spiegeln sich auch musikalisch wider. Erhabene, bewegende Melodielinien stehen noisiger Distortion gegenüber. Die Texturen und Details des Albums sind ein echter Genuss: In „Uncloudy Days“ baut sich schleichend eine melancholische, verträumte Melodie mit sanftem Walzer-Beat auf. „No More Apocalypse Father“ stapfen unerbittliche Beats alles nieder, während in „Tremble Pour Light“ zarte, schwebende Gitarrenparts dominieren. Das Album schließt mit „(Goodnight) White Phosphorous“, einem wunderschönen, Synthesizer-basierten Ambient-Stück. Es ist ein beeindruckend detailreiches Werk, das auch bei wiederholtem Hören nichts von seiner Wirkung verliert. Bleibt zu hoffen, dass WAWBARC keine einmalige Kollaboration bleibt.