Stoische Eleganz trifft Gitarrenekstase

Durch­schnitt­li­che Lese­dauer 3 Minu­ten

King Hannah
11. November 2025 • Gebäude 9, Köln

Es ist der 11.11. – kar­ne­va­lis­ti­sche Hoch­zeit und wir fah­ren nach Köln. Aber warum in aller Welt? Das Liver­poo­ler Duo King Han­nah, der­zeit mit sei­nem Album Big Swim­mer“ auf Euro­pa­tour, hat sich im Gebäude 9 ange­kün­digt. Und Ste­fan fragt an, ob ich Lust habe, mit­zu­kom­men – klar habe ich. Zumal Ste­fan fährt.

Joe Gideon eröffnet mit rauem Storytrelling

Bevor Han­nah Mer­rick und Craig Whittle die Bühne betre­ten, eröff­net Joe Gideon den Abend. Der bri­ti­sche Sin­ger-Song­wri­ter, frü­her Kopf der Band Bikini Atoll, spielt ein Set, das in sei­ner rauen, lako­ni­schen Art sofort hän­gen­bleibt. Beglei­tet von einem her­aus­ra­gen­den Gitar­ris­ten, pen­delt Gideon zwi­schen brü­chi­gem Sto­rytel­ling und uner­war­tet wuch­ti­gen Momen­ten. Beson­ders Grizzly“, Arc­tic Moons“ und das wun­der­schön ver­spon­nene Any­thing You Love That Much You Will See Again“ ragen her­aus – letz­te­res stammt aus sei­nem Album Harum Scarum“, das er gemein­sam mit sei­ner Schwes­ter Viva Sei­fert auf­ge­nom­men hat. Sie scheint an die­sem Abend sogar im Publi­kum zu sein. Denn den Song Wild and Free“ wid­met Gideon mit einer Geste in den Saal eben jener Schwester.

King Hannah übernehmen

Nach einer kur­zen Umbau­pause taucht das Büh­nen­licht in tie­fes Rot. King Han­nah betre­ten die Bühne – ergänzt durch Bas­sist und Key­boar­der Conor O’Shea sowie Schlag­zeu­ger Jake Lipiec, die auch auf dem aktu­el­len Album Big Swim­mer“ zu hören sind. Von der ers­ten Note an zieht Han­nah Mer­ricks hyp­no­ti­scher Gesang das Publi­kum in sei­nen Bann: sto­isch, zurück­hal­tend, aber mit einer Inten­si­tät, die sich unauf­halt­sam aus­brei­tet. Neben ihr ent­fes­selt Craig Whittle seine Gitarre – ein Wech­sel­spiel aus zar­ter Finesse und kon­trol­lier­tem Lärm, das die Songs immer wie­der an den Rand des Abgrunds treibt.

Mit Kopfhörer und Rüschenkleid

Diese Span­nung zwi­schen Kon­trolle und Aus­bruch ist das, was King Han­nah aus­macht. Mer­rick steht in einem roten Rüschen­kleid auf der Bühne, die Over-Ear-Kopf­hö­rer wie eine sym­bo­li­sche Distanz zum Außen. Auch die Gitarre, die sie sich gele­gent­lich umhängt, scheint mehr Schmuck als Instru­ment. Fast unnah­bar wirkt sie, bei­nahe arro­gant – bis sie plötz­lich das wun­der­bare Go-Kart Kid (Hell No!)“ unter­bricht, lachend ins Publi­kum fragt: Did I make a mistake – did you notice it?“ In die­sen sel­te­nen Momen­ten blitzt ihre sym­pa­thi­sche, leicht scheue Art auf. Auch ihr Dank an Joe Gideon wirkt herz­lich, ganz ohne Pathos.

Von El Paso bis Crème brûlée

Die Set­list führt durch die dunk­len, schim­mern­den Sounds von Big Swim­mer“, aber auch durch frü­here Stü­cke: Some­where Near El Paso“, Milk Boy (I Love You)”, The Mat­tress“ und das wie eine Hom­mage an Lou Reed und The Vel­vet Under­ground kon­zi­pierte New York, Let’s Do Not­hing“ – Songs, die zwi­schen Melan­cho­lie, Ame­ri­cana und rockis­ti­schem Gitar­ren­lärm mäan­dern. Und natür­lich spie­len sie auch das ver­spon­nene, träu­me­ri­sche Crème brûlée“, das live fast bedroh­lich wirkt in sei­ner trä­gen Schön­heit. Kein Song klingt wie auf Platte – sie geben ihnen Raum, wei­ten sie aus. Ruhige Momente kip­pen in lange, lär­mende Gitar­ren­es­ka­pa­den, ver­lie­ren sich in Feed­back und Hall. Enorm ner­vig und stö­rend jedoch: Ein stän­di­ges, unter­schwel­li­ges Brum­men aus der Anlage stört die Per­for­mance – nicht hör­bar bei den lau­te­ren Pas­sa­gen, aber gerade die fei­nen, stil­len Momente, die von der ein­zig­ar­ti­gen Stimme Mericks leben, lei­den unter die­sen Brummschleifen.

Ein leiser Abschied mit Miss Ohio“

Erstaun­lich, dass der Track Big Swim­mer“ selbst erst in der Zugabe auf­taucht. Ein State­ment viel­leicht – oder ein­fach eine iro­ni­sche Bre­chung des Erwart­ba­ren. Zum Abschluss blei­ben Mer­rick und Whittle allein auf der Bühne, um Look at Miss Ohio“ zu spie­len. Kein Schlag­zeug, kein Bass – nur Stimme und Gitarre. Hier zeigt sich Mer­ricks Stimm­vo­lu­men in vol­ler Band­breite: kühl, ver­letz­lich, unerschütterlich.

Die Fahrt hat sich gelohnt

Ein Kon­zert, das unter die Haut geht – eines, das eine ganz eigene Atmo­sphäre erschafft. Und am Merch­stand zeigt sich Mer­rick dann wie­der ganz nah­bar. Ich kaufe mir ein Big-Swim­mer-Shirt. Werde es mor­gen gut sicht­bar auf dem Weg ins beheizte Frei­bad tra­gen. Auf der Heim­fahrt sind wir uns einig: Die­ser Trip in die Dom­stadt hat sich gelohnt – und Kar­ne­val war Gott sei Dank weit weg.