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Anohni And The Johnsons


Anohni wurde 1971 als Ant­ony Hegarty in Chi­ches­ter, Sus­sex (Eng­land) gebo­ren und sagt, sie habe sich schon immer als trans iden­ti­fi­ziert: „Du kommst durch die queen door auf die Welt – oder eben nicht; aber wenn es so ist, dann weißt du es auch.“ Sie zog mit ihren Eltern 1977 nach Ams­ter­dam, im dar­auf­fol­gen­den Jahr dann nach Kali­for­nien. Musik hat ihr gehol­fen, zu sich selbst zu fin­den und ihren Gefüh­len freien Lauf zu las­sen. Es war vor allem der zeit­ge­nös­si­sche bri­ti­sche Syn­thie­pop, gefühls­ge­la­den und über­bor­dend wie bei Kate Bush, Marc Almond oder auch Boy George. Mit 19 flieht sie nach New York City, an jenen mythi­schen Ort der quee­ren Szene der Sieb­zi­ger- und Acht­zi­ger­jahre, aber es ist die Zeit, in der AIDS im quee­ren New York beson­ders hef­tig wütet. Den­noch fin­det sie hier ihre künst­le­ri­schen Wur­zeln. Mit ihrer Part­ne­rin Johanna Con­stan­tine grün­det sie die avant­gar­dis­ti­sche Drag-Thea­ter-Truppe Black­lips, Als die Gruppe zer­fällt, star­tet Anohni ihr ers­tes Band­pro­jekt: Ant­ony and the John­sons. Der sen­ti­men­tale Song der Band „Cripple and the Star­fish“ schafft es bis in den Sound­track der ARD-Tat­ort Folge „Dorn­rös­chens Rache“. 2016 ändert die Künst­le­rin ihren Namen in ANOHNI und meint zum Trans­gen­der-Sein: „Der Trans-Zustand ist ein wun­der­schö­nes Mys­te­rium; es ist eine der bes­ten Ideen der Natur. Was für ein unglaub­li­cher Impuls, der ein fünf­jäh­ri­ges Kind dazu bringt, sei­nen Eltern zu sagen, dass es nicht das ist, wofür sie es hal­ten. Wenn man ihnen nur ein biss­chen Sau­er­stoff gibt, kön­nen diese Kin­der auf­blü­hen und ein gro­ßes Geschenk sein. Sie geben ande­ren Men­schen die Mög­lich­keit, sich selbst tie­fer zu erfor­schen und die Far­ben in ihrer eige­nen Psy­che zu entfalten“.

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Anohni And The Johnsons
My Back Was A Bridge For You To Cross

Ver­öf­fent­licht: 7. Juli 2023 
Label: Beggars


Now that I’m almost gone
Sliver of ice on my tongue
In the day’s night
It tastes so good, it felt so right
For the first time in my life

Text­aus­schnitt aus „Sliver Of Ice”

„My Back Was A Bridge For You To Cross“ ist ihr ers­tes Album nach „Hope­l­ess­ness“, jenem bedroh­li­chem Elec­tro-Pop-Album vol­ler Zorn, Wut und Zukunfts­angst, das Anohni 2016 ohne den Namens­zu­satz The John­sons ein­spielte – ein Name, der übri­gens auf die Trans­gen­der-Akti­vis­tin Mar­sha P. John­son zurück­geht, die, so will es die Legende, bei den Stone­wall Riots 1969 in Man­hat­tan den ers­ten Stein warf. Sie ist es auch, die uns auf dem Cover von „My Back Was A Bridge For You To Cross“ selbst­be­wusst und offen ent­ge­gen­lä­chelt. Und so ist die­ses Album mit sei­nem pro­gram­ma­ti­schen Titel auch ins­ge­samt hoff­nungs­vol­ler und weni­ger düs­ter als der Vor­gän­ger, obwohl auch hier Ver­zweif­lung und Angst ste­tig mit­schwin­gen. Auch musi­ka­lisch geht Anohni in eine etwas andere Rich­tung: souli­ger ist sie gewor­den und gele­gent­lich tau­chen Folk- und Ame­ri­cana-Anlei­hen auf. Das wun­dert nicht, wur­den die Songs doch maß­geb­lich vom Lon­do­ner Pro­du­zen­ten und Gitar­ris­ten Jimmy Hogarth mit­ge­prägt, einem aus­ge­wie­se­nen Soul-Fan, der auf Sam Cooke und Are­tha Frank­lin steht und bereits für Amy Wine­house, James Blunt oder The 1975 tätig war. Gleich beim erste Stück „It Must Change“ domi­niert sein Gitar­ren­spiel, wobei Anohni immer wie­der beschwö­rend den not­wen­di­gen Wech­sel ein­for­dert. Im zwei­ten Track „Go Ahead“ hin­ge­gen lärmt die Gitarre und Anohni pro­vo­ziert all die Has­sen­den da drau­ßen: „Go ahead, kill your friends/You are an addict/Go ahead, hate yourself/I can’t stop you“. Die softe Folk­bal­lade „Sliver of Ice“ hat Annoni ihrem lang­jäh­ri­gen Freund Lou Reed gewid­met, beide haben schon 2003 zusam­men­ge­ar­bei­tet. Bereits 2013, kurz nach Reeds Tod, hat Anohni die­ses Requiem kom­po­niert. Es bezieht sich auf ihr letz­tes Gespräch, in dem Reed beschreibt, wie ein Eis­wür­fel lang­sam im Mund dahin­schmilzt: „Now that I’m almost gone/Sliver of ice on my tongue/In the day’s night/It tas­tes so good, it felt so right/For the first time in my life“. Es ist wie eine Vor­ah­nung des eige­nen Ver­schwin­dens. So sind die The­men die­ses Albums das Leben in all sei­ner Fra­gi­li­tät, das Ende der Mensch­lich­keit und der Mensch­heit ins­ge­samt. Was am Ende bleibt, ist der hoff­nungs­volle Ruf nach Ver­än­de­rung „It Must Change“, eine der zen­tra­len Bot­schaf­ten des Albums und das feste Ver­trauen auf die Liebe. Anohni erklärte in einer Pres­se­mit­tei­lung: „I want the record to be useful. I lear­ned with Hope­l­ess­ness that I can pro­vide a sound­track that might for­tify peo­ple in their work, in their acti­vism, in their dre­a­ming and decis­ion-making.“ Das wün­sche ich die­sem enga­gier­ten Album eben­falls — wenn es für mei­nen Geschmack manch­mal auch zu schwüls­tig und smooth zugeht. Aber die ent­waff­nende, ent­rückte Stimme von Anohni macht jeden Song beson­ders und hörenswert.