„The Shards“ von Bret Easton Ellis gibt sich nur vordergründig als „based on a true story“. In dem Roman erinnert sich der Autor an sein letztes Jahr an einer Privatschule. Es ist die Erinnerung eines Albtraums.
in seinem 2023 publizierten siebten Roman „The Shards”, seinem ersten nach 13 Jahren, kehrt Bret Easton Ellis zu seinem Debüt-Roman zurück: Er erzählt hier nun vierzig Jahre später über sein letztes Jahr an einer elitären Privatschule in Beverly Hills und alles deutet darauf hin, dass es sich bei „The Shards” um eine Autobiographie handelt: Der 17-jährige Ich-Erzähler heißt Bret, ist homosexuell, gehört zu einer wohlstandsverdorbenen Elite und schreibt zu jener Zeit bereits an seinem Erfolgsdebüt „Unter Null“. Man ahnt jedoch schon bald, dass sich nicht alles so ereignet hat, wie uns der Autor vermitteln will. So wird Bret Easton Ellis denn auch nicht müde zu betonen, dass er als Schriftsteller die Neigung hat, Erinnerungslücken phantasievoll zu füllen und seine Erzählung mit Ausgedachtem interessanter zu machen. Gegenüber der Zeit Online gestand er einmal: „Mich interessiert die Wahrheit nicht wirklich.“ Dennoch beginnt er seine Kapitel häufig mit „Ich weiß noch genau…” oder betont „Ich erinnere mich noch, wie“. Und so „erinnert“ sich der nunmehr 58-jährige Autor an seine Zeit als 17-Jähriger und glaubt, nach mehreren Versuchen endlich über den Albtraum schreiben zu können, den er damals im Los Angeles der 1980er-Jahre mit seiner Clique erlebte. Sehr detailliert beschreibt er deren nihilistisches, verschwenderisches Luxusleben voller Drogenexzesse, Langeweile und sexueller Begierden. Es ist ein Setting, das der Autor bereits in seinem Kultbuch „Unter Null“ verhandelt hat. Auch dort fanden die jungen Amerikaner*innen in all ihren Ausschweifungen kaum noch einen Kick, geschweige denn einen Sinn. Hinter diesem Hedonismus lauert in seinem aktuellen Roman allerdings – vor allem bei der Hauptfigur Bret – die ständig wachsende Angst vor einem brutalen Serienkiller sowie einer ominösen Sekte mit dem klischeehaften Namen „Riders of the Afterlife“, eine wahnhafte Vorstellung, die sich am Ende in einer übertriebenen und fast schon ärgerlichen, splatterhaften Gewaltorgie entlädt. Bei alledem kämpft der 17-jährige mit seiner aufkommenden Homosexualität und steht an der Schwelle zum Erwachsenwerden, das endlich absolute Freiheit und ein eigenständiges Leben verspricht.
Soundtrack of our Life
Grundsätzlich ist dies immer eine schwierige Lebensphase – eine, die zumeist ihren eigenen Soundtrack mit sich bringt, der sich in der Folge dauerhaft in die Erinnerung einbrennt. Es ist daher zwar nicht sonderlich originell, aber absolut schlüssig, dass Bret Easton Ellis seinen Text mit ständigen Verweisen zur Popmusik verwebt. Die Art, wie er es macht, ist dann allerdings doch wieder bemerkenswert. Musik erklingt bei ihm nie beliebig, sondern untermalt und verstärkt immer das Geschehen. Gelegentlich entsteht gar der Eindruck, dass das Erzählte aus der Musik erwächst. Der Titelsong des gut siebenhundertseitigen Romans ist dabei der Track „Vienna“ von Ultravox. Er dröhnt zu Beginn aus dem Autoradio eines Senders namens „Totally 80“ und wird gegen Ende mit der Zeile zitiert „It means nothing to me“ – was auf der einen Seite die Gefühle der Jugendlichen beschreibt, anderseits aber das eigentliche Geschehen konterkariert. Und wie schon im Debütroman „Unter Null“ von 1985 ist auch dieser Roman durchdrungen von Kim Wildes „Kids in America“, die in dem dazugehörigen Video die ganze Zeit ungeheuer unterkühlt und völlig unberührt schaut. So wird der Roman von einem Soundtrack begleitet, der perfekt zu den gestylten Protagonisten passt. Am Ende beschreibt Bret Easton Ellis den Soundtrack seines Romans mit: „Handelten die Lieder, wie ich einmal geglaubt hatte, von einem Kind, das zum Mann wurde, so handelten sie für mich als Sechsundfünfzigjährigen auch von einem Mann, der ein Kind geblieben war.“ Trotz ständiger Beschreibungen langer, sinnloser Autofahrten durch L.A. und der übertriebenen Gewaltorgie gegen Ende des Romans ist dieses zwischen Dekadenz und Abgrund oszillierende Werk spannend und faszinierend.
Andere Meinungen:
Dieser Roman reiht sich in die Reihe der großen Texte von Ellis ein. Dass er noch einmal so einen Hammer veröffentlicht, damit war nicht mehr zu rechnen
Christian Preusser, Frankfurter Neue Presse, 28. Januar 2023
„The Shards“ ist ein furioses Scherbengericht.
Stefan Kister, Stuttgarter Zeitung, 18. Januar 2023