Girls against God

Jenny Hval erzählt eine äußerst feministische Geschichte voller Hass und dunkler Ecken, gespickt mit übernatürlichen Zusammenhängen und Phänomenen

Jenny Hval ist eine beein­dru­ckende All­round­künst­le­rin. Sie wurde am 11. Juli 1980 in Oslo gebo­ren, stu­dierte an der Uni­ver­si­tät Mel­bourne in Aus­tra­lien die Fächer Krea­ti­ves Schrei­ben und Per­for­mance und begann nach ihrer Rück­kehr nach Nor­we­gen 2006 mit ihrer ers­ten EP „Cigars” unter dem Künst­ler­na­men „Rocketto­the­sky” ihre musi­ka­li­sche Kar­riere. Seit­her hat sie fast ein Dut­zend Plat­ten auf­ge­nom­men, die mit allen wich­ti­gen nor­di­schen Musik­prei­sen aus­ge­zeich­net wur­den. 2009 erschien ihr ers­ter Roman „Per­le­bryg­ge­riet” (Per­len­braue­rei), der auch gleich für den renom­mier­ten „Sør­lan­dets lite­ra­tur­pris” nomi­niert wurde. Ihr zwei­ter Roman „Å hate Gud” erschien 2018 beim Osloer Ver­lag „For­la­get Okto­ber“ und wurde vom März Ver­lag 2023 in deut­scher Spra­che ver­öf­fent­licht. Titel: „Gott Has­sen“ – einem ehe­ma­li­gen Inter­nats­schü­ler eines Katho­li­schen Ordens spricht der Titel natür­lich aus dem Her­zen. Habe ich doch auch gegen die ver­lo­gene, heuch­le­ri­sche Got­tes­gläu­big­keit und alles, was damit zusam­men­hängt, rebel­liert und am Ende mei­ner Inter­nats­zeit mit jugend­lich-infan­ti­ler Freude eine Bibel ver­brannt. Ein Grund, warum mich die­ser kom­pro­miss­lose, rebel­li­sche und unheil­volle Roman so ange­spro­chen hat. Auch er rebel­liert laut und unver­söhn­lich gegen Gott und die damit ver­bun­de­nen ein­engen­den gesell­schaft­li­chen Regeln — gegen die weiß getünchte Idylle Nor­we­gens mit ihrer mie­fi­gen, abge­stumpf­ten Spies­sig­keit. „Gott Has­sen“ ist somit eine Art dunkle Coming-of-Age-Story — ein ein­zi­ger jugend­li­cher Auf­schrei und eine Rebel­lion gegen die bestehen­den Ver­hält­nisse. Asso­zia­tiv mäan­dert er von schwar­zer Magie und Black Metal über bil­dende Kunst bis hin zur digi­ta­len Gegen­warts­kul­tur und ist dabei so sub­ver­siv, radi­kal und sur­real, dass es einen fes­selt, Jenny Hvals oft frei­dre­hen­den Gedan­ken zu fol­gen (was mir aller­dings nicht immer gelang). Tat­säch­lich gibt es in die­sem stark auto­bio­gra­phi­schen Roman, der im Eng­li­schen unter dem weni­ger pro­vo­kan­ten, weni­ger blas­phe­mi­schen Titel „Girls against God“ erschien, kei­nen linea­ren Erzähl­strang. Zunächst ist da die nor­we­gi­sche Black-Metal-Band Dark­throne mit ihrem Front­mann Noc­turno Culto (bür­ger­lich Ted Skjel­lum), über die die Ich-Erzäh­le­rin ein Dreh­buch für eine Doku­men­ta­tion schrei­ben will, sich dabei aber auch ihrer jugend­li­chen Ver­gan­gen­heit mit all ihrem Hass annä­hert. Dabei war sie eigent­lich zu jung dazu noch weib­lich, um wirk­lich Teil die­ser zer­stö­re­ri­schen, männ­lich-chau­vi­nis­ti­schen Metall­kul­tur zu sein. Und da ist die Magie, die drei see­len­ver­wandte Frauen ver­bin­det, die sich als Band ver­ste­hen und einen Hexen­zir­kel des Has­ses bil­den. Denn Hass ermög­licht Kunst. Und so gibt es jede Menge Ver­weise auf das Sub­ver­sive der Kunst, die pro­vo­zie­ren und Tabus bre­chen will. Ver­bin­dun­gen zum Hard­core-Porno „Deep Throat“ wer­den gezo­gen, Sze­nen aus Otto Muehls Film „Sweet Movie“ beschrie­ben und auch Sacher-Masochs „Venus im Pelz“ und George Batail­les Werk fin­den ihren Platz. So zie­hen die drei Frauen durch Oslo, unter­stützt von dem Mäd­chen aus Edvard Munchs „Puber­tät“, und ver­lie­ren sich in aber­wit­zi­gen Ritua­len und bedeu­tungs­schwan­ge­ren Hand­lun­gen. Diese kunst­ge­schicht­li­chen und ‑theo­re­ti­schen Exkurse lesen sich stel­len­weise wie ein femi­nis­ti­sches Mani­fest, denn wie in ihren musi­ka­li­schen Lyrics ver­han­delt Hval in die­sem Roman vor allem The­men über weib­li­che Selbst­er­mäch­ti­gung, Sexua­li­tät und Kör­per. Auch ihr Erzähl­stil, mit sie immer wie­der ein ima­gi­nier­tes „Du“ adres­siert, funk­tio­niert stre­cken­weise wie ihre Son­gly­rik. Jenny Hval schreibt sehr rhyth­misch und asso­zia­tiv. Vie­les ist repe­ti­tiv und hat einen musi­ka­li­schen Flow. Keine leichte Kost, aber immer fesselnd.

Wem das zu anstren­gend ist, dem seien ihre Alben emp­foh­len. Die musi­ka­li­sche Band­breite reicht von Pop über Singer/Songwriter bis hin zu expe­ri­men­tel­len, elek­tro­ni­schen Klang­in­stal­la­tio­nen. Ihr aktu­el­les Album „Clas­sic Objects“ ist sicher eines ihrer zugäng­lichs­ten: melo­dien­ge­füll­ter Art-Pop, der sich ähn­lich wie die­ser Roman mit dem Selbst und der Frei­heit des Unbe­wuss­ten befasst. Ober­fläch­lich leicht kon­su­mier­ba­rer Pop, aber hin­ter der Fas­sade tief­grün­dig und mit aus­ser­ge­wöhn­li­cher Instrumentierung.

Jenny Hval
Gott Has­sen
240 Sei­ten
Ver­lag: März Verlag

Andere Meinungen:

Anti­bür­ger­lich und femi­nis­tisch; durch­drun­gen von Über­zeu­gung und Wut.

Cal Revely-Cal­der, Tele­graph, 17. Okto­ber 2020

Die Atmo­sphäre von Gott has­sen ist an der Ober­flä­che düs­ter und unver­söhn­lich, und doch ver­birgt sich hin­ter die­sem Ein­druck eine zweite Geschichte über die Stärke und Soli­da­ri­tät ver­ach­te­ter Frauen.

Mor­ning Star, 22. April 2021