Kim Deal (Kimberley Ann Deal) wird am 10. Juni 1961 in Dayton, Ohio, geboren, wo sie mit ihrer Zwillingsschwester Kelley aufwächst. Gemeinsam gründen sie als Teenager eine Folk-Rock-Band. Led Zeppelin und die Sex Pistols beeinflussen sie dabei musikalisch. 1986 antwortet Kim auf eine Anzeige der Bostoner Times, in der Charles Thompson (alias Black Francis) und Joey Santiago eine*n Bassist*in mit Vorliebe für Hüsker Dü suchen. Obwohl sie wenig Erfahrung am Bass hat, wird sie schnell zum zentralen Mitglied der gemeinsam gegründeten Pixies. Komplettiert wird die Band durch Drummer David Lovering, einen Bekannten von Kim. Ihr markanter, melodiöser Bassstil und ihre kratzigen Backing-Vocals sollen prägend für den Sound der Pixies werden.
1989 gründet sie während einer Bandpause mit Tanya Donelly (Throwing Muses) die Band The Breeders, die mit „Last Splash“ (1993) und dem Indie-Hit „Cannonball“ weltweit bekannt wird – ebenfalls bei der Gründung dabei: die britische Bassistin Josephine Wiggs und der Schlagzeuger von Slint, Britt Walford. Nachdem Zwillingsschwester Kelley Deal, die 1992 zur Band hinzustößt und später Tanya Donelly als Gitarristin ersetzt, wegen Heroinsucht ausfällt, pausieren die Breeders. Kim gründet The Amps und produziert unter anderem Guided by Voices. 2002 kehren The Breeders mit neuer Besetzung zurück („Title TK“), weitere Alben wie „Mountain Battles“ (2008) und „All Nerve“ (2018) folgen. Zwischen 2004 und 2013 ist Kim auch bei den wieder vereinten Pixies aktiv. Und dann die Überraschung: Im November2024 veröffentlicht Kim Deal ihr erstes Soloalbum.
Beat by beat I expel your point of viеw
Textausschnitt aus „Crystal Breath“
The heels of my imagination digging into you
I start a new life
„Nobody Loves You More“, das allererste Soloalbum der 63-jährigen Kim Deal, ist eine echte Überraschung. Nicht nur, dass es so spät erscheint, sondern auch, weil es mit einer Sammlung von Songs unterschiedlichster Genres jegliche Erwartungshaltungen unterläuft und sich stilistisch nicht festlegen lässt. Es braucht Zeit, um mit diesem Album wirklich warm zu werden – es klingt wie ein musikalisches Medley ihres eigenen Lebens. Einige der Songs wurden tatsächlich bereits vor mehr als zehn Jahren geschrieben. Und noch etwas: Jedes Stück erzählt eine sehr persönliche Geschichte aus Deals Leben. „Are You Mine?“ etwa ist eine Auseinandersetzung mit der Demenz ihrer Mutter, während sich die Urlaubsreisen mit den Eltern und ihrer Zwillingsschwester Kelley in „Summerland“ widerspiegelt. Auch der Verlust naher Angehöriger wird thematisiert: Innerhalb eines Jahres starben beide Eltern sowie ein Onkel und eine Tante.
Musikalisch betritt Deal gleich mit dem titelgebenden Opener ungewohnte Pfade: Große Orchesterarrangements mit nostalgischen Streichern und Mariachi-Blech prägen den Song. Ist das wirklich Kim Deal? Vielleicht fragt sie sich das selbst: „I don’t know where I am / And I don’t care.“ Auch der zweite Song überrascht mit kräftigen Waldhörnern. Aber natürlich schlägt sie auch vertrautere Klänge an. „Crystal Breath“ ist ein Beispiel dafür: Mit verzerrten Drums, kraftvollen Basslinien und einer guten Prise Noise erschafft Deal einen mitreißenden Indie-Club-Stomper. In „Disobedience“ hört man deutlich die Breeders durch, während „Big Ben Beat“ genau so klingt, wie der Titel vermuten lässt: ein mächtiges Noise-Beat-Monster. Und auch beim finalen Track „A Good Time Pushed“ ist der Titel Programm. Er erinnert stark an den Indie-Sound der 90er Jahre und weckt Nostalgie, doch die Zeiten sind nun einmal vorbei. Dennoch: Dieser alte Sound klingt immer noch großartig.
Der perfekte Sound für ein amerikanisches Roadmovie
Mit „Nobody Loves You More“ hat Kim Deal ihr eigenes, uramerikanisches Songbook erschaffen – eine Mischung aus Americana-Folk, einem Hauch Country und Mariachi, kombiniert mit ihrem typischen Indie-Gitarren-Sound. In „Disobedience“ heißt es: „I go where I want / While I’m still on the planet.“ Und ja, sie kann machen, was sie will. Ihre Tracks bleiben unverkennbar Kim Deal: ungemein lässig, unangestrengt und catchy. Ein Album wie gemacht als Soundtrack zu einem Roadmovie quer durch die USA. Ach ja, auch eine Vielzahl von Mitstreiter*innen aus ihrer Vergangenheit und Gegenwart wirken mit: Mitglieder der Breeders (Mando Lopez, Kelley Deal, Jim Macpherson, Britt Walford), Raymond McGinley (Teenage Fanclub), Jack Lawrence (The Raconteurs) sowie Fay Milton und Ayse Hassan (Savages). Bei einigen der Tracks saß sogar noch ihr alter Freund Steve Albini, der auch das erste Album der Breeders (Pod) produzierte und im Mai 2024 verstarb, an den Reglern. So gehören auch viele der Beteiligten zu Deals ganz persönlicher Geschichte – und dieses Album ist ein musikalischer Ausdruck davon.