Konzert mit Hut

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Lewsberg

6. September 2023 • Kassette, Düsseldorf

Die Kas­sette in Düs­sel­dorf ist bekannt für ihre legen­dä­ren Kon­zerte. Die Betrei­ber Kim Thurau und Tobias Wecker haben aller­dings nach eige­nen Anga­ben ihren Spass und ihre Eupho­rie an der Kult­kneipe in Ober­bilk zuneh­mend ver­lo­ren – und so wird die Insti­tu­tion, die sich weit über die Nach­bar­schaft hin­aus mit ihren Kon­zer­ten und sons­ti­gen kul­tu­rel­len Ver­an­stal­tun­gen, aber auch den gran­dio­sen Fuß­ball­aben­den einen Namen gemacht hat, Anfang Okto­ber die Pfor­ten für immer schlie­ßen. (Eine Abschieds­party star­tet am 30.9. – Sams­tag und Sonn­tag legen jeweils ab 14 Uhr DJs auf, die die ver­gan­ge­nen elf Jahre musi­ka­lisch beglei­tet haben.) All dies ein Grund, dort heute auf­zu­schla­gen, ein ande­rer die Band, die hier heute spie­len wird: Lews­berg, jene Band aus Rot­ter­dam, die bereits 2018 mit ihrem dunk­len Post-Punk-Debüt auf­hor­chen ließ. Um 19.30 Uhr will man anfan­gen. Urs und ich sind recht­zei­tig da und ste­hen zei­tig in der Pole-Posi­tion. Es könnte ja voll wer­den. Und das wird es auch – sehr schnell füllt sich die Kneipe und es wird trotz Kli­ma­an­lage extrem warm. Schon bald ver­liert Urs die Lust und meint: „Ich schaue mir das Ganze von drau­ßen an.” Das ist ohne wei­te­res mög­lich, da sich der Büh­nen­auf­bau direkt am Fens­ter befindet.

Gegen 20.40 Uhr tau­chen dann end­lich die Musiker*innen auf. Sän­ger und Gitar­rist Arie van Vliet wird auf dem Bür­ger­steig noch von einem älte­ren Herrn, der sich von dem rie­si­gen Front­man bedrängt fühlt, rup­pig zurecht­ge­wie­sen, besteigt dann aber unbe­hel­ligt die kleine Bühne, wo Gitar­rist Michiel Klein, Bas­sis­tin Shalita Diet­rich sowie Schlag­zeu­ge­rin Mar­rit Mei­nema bereits auf ihn war­ten. Die letzte Mini-LP „In Your Hands“ nahm man noch als Trio auf, da Schlag­zeu­ger Joris Fro­wein zwi­schen­zei­tig aus­ge­stie­gen war. Aber Mei­nema ist ein abso­lut wür­di­ger Ersatz. Wie ehe­mals Mo Tucker bei Vel­vet Under­ground bear­bei­tet sie ste­hend ihr Drum­set, das ledig­lich aus einer Tom Tom, einer Snare und einem Schel­len-Becken besteht. Die Band star­tet gleich mit einem ihrer neuen Songs, „An Ear To The Chess“ – eine Vor­abau­skopp­lung aus dem für den 15. Sep­tem­ber ange­kün­dig­ten neuen Album „Out And About“. Es ist eine typi­sche Lews­berg-Kom­po­si­tion: Ein zar­ter Rock­song mit einem stoi­schen Schlag­zeug, einer schön melo­di­schen, ein­gän­gi­gen Gitarre und dem leicht gelang­weil­ten Sprech­ge­sang von Vliet – ein Song, den auch Lou Reed sicher gern geschrie­ben hätte. Es sind die gut aus­ba­lan­cier­ten, melo­di­schen und mini­ma­lis­ti­schen Songs, die den Reiz die­ses Abends aus­ma­chen. Ab und zu bricht Gitar­rist Klein zu klei­ne­ren, unge­stü­me­ren Sound­es­ka­pa­den aus. So ist es eine span­nende, unter­halt­same Mischung aus unro­cki­gem Art-Rock und Slow­core, aus kra­chig post-pun­ki­ger und ruhi­ger, fast erzäh­le­ri­scher Per­for­mance. Abwechs­lungs­reich auch, weil neben van Vliet auch die bei­den weib­li­chen Band­mit­glie­der gele­gent­lich die Vocals über­neh­men – gerne auch im Duett. Und da sind immer wie­der die Texte, die einen auf­hor­chen las­sen, zum Bei­spiel in „Get­ting Clo­ser“: „Pro­po­sal one: give me what I want / Pro­po­sal two: you should have it too / Be pre­pared / Take your share“. Oder in dem wun­der­ba­ren „Six Hill“ mit sei­nem län­ge­ren Instru­men­tal-Part, in dem Klein seine Gitarre herr­lich ver­zerrt und doch immer wie­der zur Melo­die zurück­fin­det „You’re dri­ving wit­hout a license / I’m dri­ving uninsu­red / Why don’t we crash into each other / I’ve got the fee­ling that we should“.

Bei alle­dem wir­ken die bei­den Gitar­ris­ten selt­sam sto­isch, fast gelang­weilt – oder ist das Kon­zen­tra­tion? –, wäh­rend man der Bas­sis­tin und der Schlag­zeu­ge­rin deut­lich den Spaß an die­sem Auf­tritt anmer­ken kann. Natür­lich greift Arie van Vliet auch zur Geige. Bezeich­nen­der­weise ber­merkte er ein­mal, dass er es zuwei­len schwie­rig fände, bei den Kon­zer­ten Geige zu spie­len und wei­ter: „Die Gitarre fühlt sich manch­mal wie ein Schild an, den man vor sich hat, aber wenn man eine Geige unter dem Kinn hat, hat man über­haupt keine Ver­tei­di­gung.“ Ein biß­chen so wirkt er dann tat­säch­lich heute Abend, etwas ver­le­gen und dem Publi­kum hilf­los aus­ge­lie­fert. Aber viel­leicht geht ihm auch noch die kleine Aus­ein­an­der­set­zung mit dem zicki­gen Herrn da drau­ßen durch den Kopf. Nach einer Stunde been­det die Band dann mit „Debbie“, eben­falls von ihrem neuen Album, den Kon­zert­abend. Obwohl: „We got some more minu­tes, we will play ano­ther one.” Mit einer klei­nen Zugabe wer­den wir dann ent­las­sen. Am Aus­gang steht noch Tobias mit sei­nem Hut — jede*r kann hier einen Obo­lus abge­ben. Ein klei­nes Dan­ke­schön an die Band für ein tol­les Kon­zert mit vie­len Höhe­punk­ten, das auch Urs sicher gefal­len hätte. Er hat sei­nen Platz vor dem Fens­ter aller­dings längst verlassen.