Ein magisches Kinoerlebnis

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Eine kleine Plan­än­de­rung unse­rer Aus­tra­li­en­reise, um The Hard Quar­tet in Syd­ney sehen zu kön­nen, ermög­licht es uns plötz­lich, noch einen wei­te­ren Event zu besu­chen: Im Bota­ni­cal Gar­den wurde ein gro­ßes Open-Air-Kino instal­liert – „The World’s Most Beau­tiful Cinema“, so die Selbst­be­schrei­bung. Das West­pac Open­Air, wie der offi­zi­elle Name lau­tet, gilt als das schönste Open-Air-Kino der Welt und bie­tet jeden Som­mer ein ganz beson­de­res Kino­er­leb­nis in Syd­ney. Hier ver­sam­meln sich mehr als tau­send Film­freunde am Hafen­rand zu Drinks und Snacks, wäh­rend die Sonne lang­sam über der Stadt unter­geht. Sobald es dun­kel wird, erhebt sich eine rie­sige, drei Stock­werke hohe Lein­wand aus dem Was­ser. Da ist es fast egal, wel­cher Film gezeigt wird – die Kulisse ist der eigent­li­che Star des Abends. Doch wie der Zufall es will, läuft genau an die­sem Tag „A Com­plete Unknown“, ein Bio­pic, das den Beginn der Kar­riere des US-ame­ri­ka­ni­schen Sin­ger-Song­wri­ters Bob Dylan in den 1960er Jah­ren beschreibt und sei­nen Wan­del vom Folk- zum Rock­mu­si­ker nach­zeich­net. Den Film hät­ten wir uns wahr­schein­lich auch zu Hause in einem „nor­ma­len“ Kino ange­se­hen, aber hier, mit der Syd­ney Opera und der Har­bour Bridge im Hin­ter­grund, ist es dann wirk­lich ein abso­lut magi­sches Erlebnis!

Open Air Cinema, Sydney

A Complete Unknown

Regie: James Man­gold
Genre: Bio­pic
Beset­zung: Timo­thée Cha­l­a­met, Edward Nor­ton, Elle Fan­ning
Länge: 2 Std. 20 Min.
Film­start: 27. Februar 2025 

„A Com­plete Unknown“ ist ein bio­gra­fi­sches Film­drama aus dem Jahr 2024 unter der Regie von James Man­gold, der gemein­sam mit Jay Cocks auch das Dreh­buch ver­fasste. Basie­rend auf Eli­jah Walds Buch „Dylan Goes Elec­tric!“ zeigt der Film die Ent­wick­lung Bob Dylans von einem idea­lis­ti­schen Träu­mer zu einer ein­fluss­rei­chen Ikone, die die Musik­land­schaft nach­hal­tig prägte. Der 19-jäh­rige Bob Dylan (Timo­thée Cha­l­a­met) ver­lässt seine Hei­mat in Min­ne­sota, um in New York City, dem gefühl­ten Nabel der Welt, seine musi­ka­li­sche Erfül­lung zu fin­den. Dabei lan­det er zunächst am Kran­ken­bett sei­nes gro­ßen, aber schwer­kran­ken musi­ka­li­schen Idols Woody Gut­hrie (Scoot McN­airy). Eben­falls an Gut­hries Seite befin­det sich Pete See­ger, groß­ar­tig gespielt von Edward Nor­ton. See­ger, ein­fluss­rei­cher Musi­ker und Für­spre­cher der tra­di­tio­nel­len Folk-Musik, erkennt schnell Dylans Talent und wird zu sei­nem Men­tor. Genau die­ses Talent spricht sich bald herum und schnell steht Dylan in Kon­takt zu den Grö­ßen der dama­li­gen Folk-Szene. Joan Baez (Monica Bar­baro), eine der bedeu­tends­ten Künst­le­rin­nen der Folk-Bewe­gung, wird zeit­wei­lig seine Partnerin.

Dylan greift zur E‑Gitarre

Eine wei­tere Inspi­ra­ti­ons­quelle ist Syl­vie Russo (Elle Fan­ning), die Dylans Muse und Geliebte Suze Rotolo aus dem wah­ren Leben ver­kör­pert. Auf Dylans Wunsch wurde der Name der Figur für den Film geän­dert. Trotz sei­ner tie­fen Ver­an­ke­rung in der Folk-Bewe­gung beginnt Dylan zuneh­mend, sich von ihr zu ent­frem­den. Er möchte sich nicht ver­ein­nah­men oder in eine Schub­lade ste­cken las­sen. Eine neue Ära scheint anzu­bre­chen, als Dylan 1965 auf dem New­port Folk Fes­ti­val plötz­lich mit einer E‑Gitarre auf der Bühne steht – unter­stützt und inspi­riert von nie­mand Gerin­ge­rem als Johnny Cash (Boyd Hol­brook). Cash wird im Film als eine Art Brü­cke zwi­schen der tra­di­tio­nel­len Coun­try-Musik und Dylans expe­ri­men­tel­lem Ansatz dar­ge­stellt. Die bei­den Künst­ler ver­bin­det eine gegen­sei­tige Bewun­de­rung und eine enge, aber unkon­ven­tio­nelle Freund­schaft. Cash ermu­tigt Dylan, Risi­ken ein­zu­ge­hen – ein Thema, das sich durch den gesam­ten Film zieht.

Konventionelle Erzählweise

Auch wenn der Film kon­ven­tio­nell und linear erzählt wird, beein­druckt er durch seine ästhe­ti­sche Dar­stel­lung von Dylans künst­le­ri­scher Vision und seine authen­ti­sche Insze­nie­rung der tur­bu­len­ten 1960er Jahre. Timo­thée Cha­l­a­mets groß­ar­tige Per­for­mance, bei der er alle Dylan-Songs selbst singt, ist ein wei­te­res High­light. Den­noch trägt Man­gold das Genie Dylans etwas zu dick auf – etwa in einer Szene, in der der junge Dylan auf dem Sofa der Fami­lie See­ger liegt, ein paar Melo­dien auf sei­ner Gitarre spielt und Pete See­ger vor Ehr­furcht erstarrt, wie der spä­tere Welt­hit „Girl from the North Coun­try“ so plötz­lich aus dem Nichts gebo­ren wird.

Nicht der beste Dylan-Film

Dylan-Fans wer­den begeis­tert sein von der kraft­vol­len Inter­pre­ta­tion sei­ner vie­len bril­lan­ten Songs. Ärger­lich ist jedoch, dass die weni­gen weib­li­chen Cha­rak­tere zu schwach gezeich­net sind, um dem Spiel Timo­thée Cha­l­a­mets ent­ge­gen­zu­wir­ken. So ist Monica Bar­baro als Joan Baez zwar hyp­no­ti­sie­rend, wird jedoch haupt­säch­lich als hüb­sches Mäd­chen dar­ge­stellt, das eifer­süch­tig auf Dylans Talent ist. Gelun­gen hin­ge­gen ist die Klam­mer des Films: Er beginnt und endet mit dem poli­tisch lin­ken Lyri­ker und Folk­mu­si­ker Woody Gut­hrie. Unser per­sön­li­ches High­light des Abends war jedoch die unver­gleich­li­che Atmo­sphäre mit der Sky­line Syd­neys im Hin­ter­grund. Sollte jemand nach einem emp­feh­lens­wer­ten Dylan-Film fra­gen, bleibt Todd Hay­nes’ außer­ge­wöhn­li­cher Kult­film „I’m Not There“ für uns nach wie vor die erste Wahl.

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