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Nick Cave

Durch­schnitt­li­che Lese­dauer 9 Minu­ten

Nick Cave, ein aus­tra­li­scher Musi­ker und Song­wri­ter, beginnt seine Kar­riere in den spä­ten 1970er Jah­ren als Front­mann der Punk-Band „The Boys Next Door“, aus der spä­ter „The Bir­th­day Party“ her­vor­geht. Nach der Auf­lö­sung der Band 1983 grün­det er „Nick Cave and the Bad Seeds“, die durch ihren ein­zig­ar­ti­gen dunk­len, lyri­schen Stil und mit Caves mar­kan­ter Bari­ton-Stimme im Mit­tel­punkt schnell inter­na­tio­nal bekannt wer­den. Im Band­for­mat mit den Bad Seeds ver­öf­fent­licht er in wech­seln­der Beset­zung zahl­rei­che Alben, dar­un­ter Klas­si­ker wie „Mur­der Bal­lads“ und „The Boatman’s Call“. Mit War­ren Ellis (Vio­line, Key­boards), der 1993 zu den Bad Seeds stößt, ent­wi­ckelt sich eine tiefe, krea­tive Part­ner­schaft. Sie grün­den 2006 nicht nur das raue, expe­ri­men­telle Neben­pro­jekt Grin­der­man, son­dern kom­po­nie­ren gemein­sam auch diverse atmo­sphä­ri­sche Sound­tracks, die sich durch ihre mini­ma­lis­ti­schen, düs­te­ren und emo­tio­na­len Klang­land­schaf­ten aus­zeich­nen – oft mit akus­ti­schen und elek­tro­ni­schen Ele­men­ten. Der Tod von Nick Caves Sohn Arthur im Jahr 2015 hat natür­lich einen tief­grei­fen­den Ein­fluss auf ihn, sowohl per­sön­lich als auch künst­le­risch. Ins­be­son­dere die Alben „Ske­le­ton Tree“ (2016) und „Ghos­teen“ (2019) the­ma­ti­sie­ren Trauer, Ver­lust und den Ver­such, mit dem Schmerz umzu­ge­hen. Der Ver­lust ver­än­dert auch seine Bezie­hung zu sei­nen Fans. Cave ent­wi­ckelt ein tie­fe­res Ver­ständ­nis für mensch­li­che Ver­letz­lich­keit und sucht ver­stärkt den Dia­log mit sei­nem Publi­kum, unter ande­rem über seine Web­seite „The Red Hand Files“. Neben sei­ner Musik ist Cave auch als Autor zahl­rei­cher Bücher, als Film­mu­sik­kom­po­nist und seit neue­rem auch als Kera­mik­künst­ler tätig.

Eine zweite, län­gere Künstlerbiographie

Es ist schwer, die Bio­gra­fie des cha­ris­ma­ti­schen Aus­nahme-Musi­kers und Schrift­stel­lers Nick Cave in weni­gen Wor­ten zusam­men­zu­fas­sen, Daher aus­nahms­weise noch eine zweite, län­gere Künstlerbiographie:

Nicho­las „Nick“ Edward Cave wurde am 22. Sep­tem­ber 1957 in War­r­ack­na­beal, Vic­to­ria, Aus­tra­lien als Sohn von Dawn und Colin Cave gebo­ren. Er hat drei Geschwis­ter. Seine Mut­ter arbei­tete als Biblio­the­ka­rin, sein Vater war Leh­rer für eng­li­sche Lite­ra­tur und starb 1978 bei einem Auto­un­fall. Er „genießt“ eine strenge angli­ka­ni­sche Erzie­hung, die sich spä­ter in sei­nen düs­te­ren Lyrics nie­der­schla­gen soll.

The Birthday Party

Früh lernt er den Multi-Instru­men­ta­lis­ten Mick Har­vey ken­nen, mit dem er eine High­school-Band grün­det, aus der sich die Punk-Band „The Boys Next Door“ ent­wi­ckelt. 1978 ver­öf­fent­li­chen sie ihre erste Sin­gle „These Boots Were Made For Wal­king“, gefolgt vom Debüt­al­bum „Door Door“. Zwei Jahre spä­ter zieht die Band nach Lon­don um und nennt sich „The Bir­th­day Party By The Boys Next Door“, so jeden­falls der Name auf ihrer ers­ten Ver­öf­fent­li­chung, spä­ter nennt man sich nur noch „The Bir­th­day Party“. John Peel ist schwer beein­druckt von ihrem wil­den Sound aus Punk, Blues und Rock. Und mög­li­cher­weise ver­dankt die Band ihm auch ihren Plat­ten­ver­trag mit Vir­gin Records, bei denen 1981 das Album „Pray­ers On Fire“ und ein Jahr spä­ter „Jun­k­yard“ sowie zwei EPs erschei­nen. 1982 nimmt Cave mit der deut­schen Avant­garde-Rock­band Die Haut das Album „Burnin’ the Ice“ auf und zieht ein Jahr spä­ter nach West-Ber­lin. Kurz dar­auf löst sich The Bir­th­day Party auf.

The Bad Seeds

Nach einem kur­zen Auf­ent­halt in Los Ange­les, wo er zusam­men mit Hill­coat, Evan Eng­lish, Gene Con­kie und Hugo Race das Dreh­buch für den Film „Ghosts … Of The Civil Dead“ schreibt, das auf einem Roman von Jack Henry Abbott basiert, kehrt er nach Ber­lin zurück und grün­det mit Har­vey und Blixa Bar­geld die Band The Bad Seeds. Des wei­te­ren dabei sind die Bud­dies Barry Adam­son (Gitarre, Kla­vier), Hugo Race (Gitarre), Tracy Pew (Bass) und Anita Lane. In die­ser Beset­zung spielt die Band 1984 das Debüt „From Her To Eter­nity“ ein. In der Folge ist es Nick Cave und den Bad Seeds immer wie­der gelun­gen, sich neu zu ori­en­tie­ren und zu wan­deln – musi­ka­lisch aber auch per­so­nell. Mit „The Good Son (1990) und Let Love In“ (1994) wer­den ihre Songs melo­di­scher und lyrisch aus­ge­feil­ter, erwar­tungs­ge­mäß erreicht die Band mit dem 1996er Album Mur­der Bal­lads“ dann auch ein brei­te­res Publi­kum. Das dar­auf ent­hal­tene Duett mit Kylie Mino­gue „Where The Wild Roses Grow“ wird mit sei­nem roman­tisch-maka­bren Musik­vi­deo zum Hit der MTV-Gene­ra­tion. 1993 wird der aus­tra­li­sche Vio­li­nist und Multi-Instru­men­ta­list War­ren Ellis ein­ge­la­den, mit Nick Cave und den Bad Seeds als Teil eines klei­nen Strei­cher­en­sem­bles meh­rere Songs auf Let Love In (ver­öf­fent­licht 1994) zu spie­len. Er wird spä­ter zum Voll­zeit­mit­glied der Seeds und zum kon­ge­nia­len Part­ner Caves und wird dabei den Sound der Band maß­geb­lich ver­än­dern. Schon mit „The Boatman’s Call“ (1997) zeigt die For­ma­tion eine deut­lich ruhi­gere, intro­spek­ti­vere Seite. Nach die­sem Album gönnt sich Cave zunächst etwas Ruhe, auch um sich von sei­ner jah­re­lan­gen Alko­hol- und Hero­in­sucht zu befreien. Er hei­ra­tet das Model Susie Bick und küm­mert sich um die gemein­sa­men Zwil­linge Arthur und Earl (dane­ben hat er zwei Kin­der aus frü­he­ren Bezie­hun­gen, zu denen er (anfäng­lich) nur wenig Kon­takt hat). 2001 erscheint dann das melan­cho­li­sche Album „No More Shall We Part”, das vor allem von den Lyrics und der Stimme Caves geprägt wird. Das letzte Album mit Blixa Bar­geld erscheint 2003 mit „Noc­turama“. Anfang 2009 steigt auch Mit­be­grün­der Har­vey nach 25 Jah­ren „aus ver­schie­de­nen per­sön­li­chen und geschäft­li­chen Grün­den“ bei den Bad Seeds aus.

Grinderman

Mög­li­cher­weise um aus dem mitt­ler­weile erwor­be­nen Sta­tus aus­zu­bre­chen, tauscht Cave sein Piano gegen eine Gitarre und grün­det 2007 zusam­men mit den Bad-Seeds-Mit­glie­dern Ellis, Casey und Scla­vu­nos die Rock-For­ma­tion Grin­der­man. Extrem rau und dis­so­nant, erin­nert der Sound sehr an Caves musi­ka­li­sche Anfänge mit The Bir­th­day Party. Aber bereits am 10. Dezem­ber 2011 gibt Nick Cave nach einem Auf­tritt von Grin­der­man beim aus­tra­li­schen Mer­edith Music Fes­ti­val die Auf­lö­sung der Band bekannt – spä­tere Wie­der­ver­ei­ni­gung nicht aus­ge­schlos­sen. Man darf also hof­fen… Schein­bar haben die Musi­ker den­noch an dem deut­lich här­te­ren Sound von Grin­der­man Gefal­len gefun­den, denn das fol­gende Seeds-Album „Dig, Laza­rus, Dig!!!“ — das letzte mit Mick Har­vey – klingt wie­der etwas rocki­ger und roher.

Trauerbewältigung

Mit dem tra­gi­schen Tod von Caves Sohn Arthur, der mit 15 Jah­ren im LSD-Rausch von einem 20 Meter hohen Fel­sen in Brigh­ton stürzt, ent­wi­ckelt sich die Musik auf „Ske­le­ton Tree“ (2016) und vor allem auf „Ghos­teen“ (2019) zu einer tief emo­tio­na­len, mini­ma­lis­ti­schen Klang­land­schaft. Beide Alben the­ma­ti­sie­ren Trauer, Ver­lust und den Ver­such, mit dem Schmerz umzu­ge­hen. Die Musik ist düs­te­rer, mini­ma­lis­ti­scher und intro­spek­ti­ver, wäh­rend die Texte von exis­ten­zi­el­len Fra­gen und spi­ri­tu­el­ler Suche durch­zo­gen sind. Auch in Inter­views und öffent­li­chen Auf­trit­ten spricht Cave offen über seine Trauer und die Zer­brech­lich­keit des Lebens. Par­al­lel zum 16. Stu­dio­al­bum „Ske­le­ton Tree“ erscheint auch der Film „One More Time with Fee­ling“ von Andrew Domi­nik – eine zärt­li­che Doku­men­ta­tion zur Ent­ste­hung des Albums, in der auch der Tod des Soh­nes the­ma­ti­siert wird. Der Ver­lust ver­än­dert auch seine Bezie­hung zu sei­nen Fans. Cave sucht ver­stärkt den Dia­log mit sei­nem Publi­kum, etwa über seine Web­seite „The Red Hand Files“, wo er auf per­sön­li­che Fra­gen zu Trauer und Leben elo­quent und sehr empha­tisch ein­geht. Eine ähn­li­che Bin­dung schafft Cave auch mit sei­ner Tour „Con­ver­sa­ti­ons with Nick Cave – An Evening of Talk and Music“: In ver­gleichs­weise klei­nen Venues begibt er sich auf die Bühne und beant­wor­tet Fra­gen aus dem Publi­kum, unter­bro­chen von eini­gen am Piano beglei­te­ten Songs. Zudem ver­öf­fent­licht er mit „Glaube, Hoff­nung und Gemetzel“ (2022) Memoi­ren in Form eines lan­gen Gesprächs mit dem Autor Sean O’Hagan, das sich über mehr als 40 Stun­den erstreckt und zeigt, was Nick Cave wirk­lich antreibt. Es stellt Fra­gen nach den gro­ßen The­men wie Hoff­nung, Kunst, Musik, Frei­heit, Trauer und Liebe und spannt den Bogen von der frü­hen Kind­heit bis heute. 2022 stirbt dann ein wei­te­rer Sohn von Cave im Alter von 31 Jah­ren. Vier Tage vor sei­nem Tod wurde Jet­hro Lazenby aus einem aus­tra­li­schen Gefäng­nis ent­las­sen, er soll seine Mut­ter atta­ckiert haben. Der Schau­spie­ler litt unter Schizophrenie. 

…und sonst?

Neben sei­ner Musik schreibt Nick Cave auch meh­rere von der Kri­tik gefei­erte Bücher. 1989 erscheint der Roman „And the Ass Saw the Angel“ – ein sur­rea­les, düs­te­res Werk über das Leid und den reli­giö­sen Fana­tis­mus in einer länd­li­chen, apo­ka­lyp­ti­schen Welt. Sein zwei­ter Roman „The Death of Bunny Munro“ (2009) schlägt eine kom­plett andere Rich­tung ein: Er erzählt die tra­gi­ko­mi­sche Geschichte eines sex­süch­ti­gen Kos­me­tik­ver­käu­fers, der sich auf eine chao­ti­sche Reise mit sei­nem Sohn begibt. 2015 erscheint eine Samm­lung aus Gedich­ten, Tage­buch­auf­zeich­nun­gen und Refle­xio­nen, die Cave wäh­rend einer Tour auf Flug­zeug-Kotz­tü­ten schreibt – daher der Titel: „The Sick Bag Song“. Zusätz­lich ver­fasst er noch einige Dreh­bü­cher, unter ande­rem für „The Pro­po­si­tion“ (2005) und „Law­less“ (2012). Zusam­men mit War­ren Ellis kom­po­niert er eine beein­dru­ckende Anzahl von Sound­tracks – so für „The Pro­po­si­tion“ (2005) und „Law­less“, aber auch für „The Road“ (2009), eine post-apo­ka­lyp­ti­sche Ver­fil­mung des Romans von Cor­mac McCar­thy, für „Wind River” (2017), einen Thril­ler über eine Mord­er­mitt­lung in einem India­ner­re­ser­vat, oder auch für „Dah­mer – Mons­ter: The Jef­frey Dah­mer Story“ (2022), eine Net­flix-Serie über den berüch­tig­ten Seri­en­mör­der — um nur einige zu nen­nen. Auch zum Bio­pic über Amy Wine­house „Back to Black“ kom­po­nie­ren Nick Cave und War­ren Ellis einen Score, der zum Kino­start im Ver­ei­nig­ten König­reich ver­öf­fent­licht wird. Zusätz­lich haben sie für Doku­men­tar­filme wie „West of Mem­phis“ (2012) und „Mari­anne & Leo­nard: Words of Love“ (2019) Musik bei­gesteu­ert. Und als sei dies alles noch nicht genug, wen­det sich der Aus­tra­lier wäh­rend der Corona-Zeit einer wei­te­ren Kunst­form zu: der Töp­fe­rei. Es ent­steht die Kera­mik­se­rie „The Devil – A Life (2020–22)“ – eine Samm­lung aus 17 gla­sier­ten Kera­mik­fi­gu­ren, die die Geschichte des Teu­fels von der Wiege bis zur Bahre erzäh­len. Nick Cave lässt sich für seine teuf­li­schen Kera­mi­ken stil­mä­ßig von den vik­to­ria­ni­schen Staf­ford­shire-Figu­ren aus dem 19. Jahr­hun­dert inspi­rie­ren. Bei die­sen auch „flat­back“ genann­ten Kera­mik­plas­ti­ken sind ledig­lich die Front und die Sei­ten deko­riert bzw. gefärbt. Tra­di­tio­nell wur­den und wer­den sol­che Kera­mik­skulp­tu­ren in Schrän­ken mit Glas­front oder auf Kamin­sim­sen auf­ge­stellt. Man darf gespannt auf das sein, was da noch fol­gen wird…

Nick Cave & The BAD SEEDS, Wild God

Nick Cave and The Bad Seeds

Wild God

Ver­öf­fent­licht: 30. August 2024
Label: PIAS/Rough Trade

So he flew to the top of the world and looked around
And said, „Where are my people? Where are my people to bring your spirit down?”

Text­aus­schnitt aus „Wild God“

Nick Cave ist längst im Main­stream ange­kom­men und hat sich im Laufe sei­ner Kar­riere vom nihi­lis­ti­schen Punk zu einem wah­ren Rock­star ent­wi­ckelt, der auch etwas von einem Trös­ter und Pries­ter hat. Und wenn es über­haupt noch eines wei­te­ren Bewei­ses sei­ner gött­li­chen Mis­sion bedurft hätte, das neue Stu­dio-Album „Wild God“, ein­ge­spielt wie­der mit The Bad Seeds, lie­fert ihn – mit einem Him­mel vol­ler Gei­gen, viel Geläut und mäch­ti­gen Engels-Chö­ren. Wie schon bei „Ske­le­ton Tree“ und noch mehr bei „Ghos­teen“ hal­ten sich die Bad Seeds hör­bar zurück – es sind ein­mal mehr die Ambi­ent-Klang­flä­chen eines War­ren Ellis, die größ­ten­teils den Sound des Albums bestim­men. Inso­fern mag man­cher (wie ich) dem Ein­fluss eines Blixa Bar­geld oder auch eines Mick Har­vey nach­trau­ern. Ehe­frau Susie bemerkte vor einem der Inter­views anläss­lich der Ver­öf­fent­li­chung des Albums: „Dar­ling, du hast jetzt ein neues Album gemacht, das sich bitte auch gut ver­kau­fen soll. Also, sprich über das Album, über Rock ’n’ Roll — nicht über Reli­gion.“ So ganz geklappt hat das Ganze nicht, denn „Wild God“ hat sich weit ent­fernt vom Punk’n’ Roll der frü­he­ren Tage. 

Knapp am Kitsch vorbei

Aber der Reihe nach: Bereits der erste Titel „Song of the Lake“ schrammt knapp am Kitsch und Pathos vor­bei. Es ist vor allem der sonore Bari­ton von Front­mann Nick Cave, der mit sei­ner emo­tio­na­len Inten­si­tät und Lei­den­schaft, nicht nur die­sen Song ret­tet. Er erzählt von einem älte­ren Mann, dem es wohl an Lebens­kraft man­gelt. Er stürzt sich nicht mehr ins Leben, gibt sich mit der blo­ßen Ahnung von Glück und Liebe zufrie­den. Und natür­lich bemüht Cave wie­der ein­mal starke, bibli­sche Bil­der: „And he knew that even though he had found Hea­ven / Such as descri­bed in the anci­ent scrolls / Still, he felt the drag of Hell / Upon his old and mor­tal soul“. Auch der Titel­song „Wild God“ spart nicht mit reli­giös-mys­te­riö­sen Moti­ven. Zu mar­kan­ten Piano-Klän­gen fliegt eine rat­lose, dahin­sie­chende Gott­heit in Form eines prä­his­to­ri­schen Vogels über eine ster­bende Stadt und sucht nach ihren Schäf­chen:. „He went sear­ching for the girl down on Jubi­lee Street / But she’d died in a bed­sit in 1993 / So he flew to the top of the world and loo­ked around / And said, Where are my peo­ple? Where are my peo­ple to bring your spi­rit down?” Mit einem zwin­kern­den Auge zitiert Cave hier ganz neben­bei aus einem sei­ner bes­ten Songs und am Ende explo­diert der Track in einem gewal­ti­gen Gos­pel-Finale mit der reli­giö­sen For­mel „Bring your spi­rit down“ – unschwer lässt sich erah­nen, wie das Publi­kum zu die­ser tran­szen­den­ta­len Ekstase sei­nem Mes­sias bei Live-Per­for­man­ces wil­len­los fol­gen wird. Dabei darf man Cave gern unter­stel­len, dass es ihm weni­ger um Glau­bens­fra­gen geht, son­dern um das Ein­zig­ar­tige und Schöne, das in uns allen steckt.

Freut euch des Lebens

Auch im dar­auf­fol­gen­den „Frogs“, in das sich präch­tige Wald­hör­ner ver­ir­ren, wer­den wie­der bibli­sche Motive und lieb­li­che Engels-Chöre bemüht. Aber Cave beschwört in die­sem Song über unbe­küm­mert hüp­fende Frö­sche auch gänz­lich unre­li­giöse Bil­der: „Kris Kris­toff­er­son walks by kicking a can / In a shirt he has­n’t washed for years.“ Und es sind Zei­len wie diese, die den Humor des 66-Jäh­ri­gen durch­schei­nen las­sen und dem Album die ver­meint­li­che Schwere neh­men. Zwar herrscht immer noch tiefe Trauer, aber man sollte sich wie­der dem Leben zuwen­den und Freude emp­fin­den kön­nen. Der gut sechs­mi­nü­tige Track „Joy“ han­delt genau von die­ser neuen, unge­ahn­ten Zuver­sicht. „We’ve all had too much sor­row, now is the time for joy“, heißt es hier in mit Blä­sern ver­zier­ten Ambi­ent-Sound­flä­chen. Und diese neu ent­deckte Freude macht es auch mög­lich, sich an ver­gan­gene glück­li­che Tage zu erin­nern. Mit „O Wow O Wow (How Won­derful She Is)“ schreibt Cave ein wür­di­ges Lie­bes­lied über seine 2021 ver­stor­bene Ex-Freun­din und Bir­th­day-Party-Kol­le­gin Anita Lane. Der Song endet sei­ner­seits mit Erin­ne­run­gen Lanes, unbe­schwert kichernd gespro­chen auf den Anruf­be­ant­wor­ter ihres alten Freun­des: „Do you remem­ber we used to really, really have fun? / ‚Cause we’d be just by our­sel­ves, muck­ing around, really rela­xed.“ Bei „Con­ver­sion“, neben dem Titel­song ein wei­te­res High­light des Albums, dürfte es sich eben­falls, obwohl auch hier spi­ri­tu­elle Erfah­run­gen eine Rolle spie­len, um ein Lie­bes­lied han­deln. Cave selbst deu­tete an, dass es von einem Erleb­nis han­delt, von dem seine Frau Susie nicht wolle, dass er Ein­zel­hei­ten dazu preis­gibt. Gegen Ende trägt die Band mit „As the Waters Cover the Sea“ noch mal rich­tig dick auf — ein schwel­ge­ri­sches Abschluss­ge­bet, das aber auch nur knapp zwei Minu­ten dau­ert. So bewegt sich die Rock-Kult­fi­gur Cave mit den Bad Seeds auf den zehn Tracks zwi­schen geheim­nis­vol­len Mär­chen­wel­ten, lei­den­schaft­li­chen Lie­bes­be­kennt­nis­sen und gewohnt düs­te­ren Erkennt­nis­sen. Es mag über­in­ter­pre­tiert sein, aber waren es nicht auch zehn Gebote, nie­der­ge­schrie­ben auf zwei Tafeln, die Gott dem Pro­phe­ten Moses auf dem Berg Sinai über­gab, wobei die erste Tafel das Ver­hält­nis des Men­schen zu Gott (Got­tes­recht) beschreibt, die zweite das Ver­hält­nis zu den Mit­men­schen (Men­schen­recht)? Wie auch immer: „Wild God“ ist sicher­lich nicht ihr bes­tes Album, aber es ist ein über­ra­gend kom­po­nier­tes, gut pro­du­zier­tes, schwel­ge­ri­sches Album – wenn auch mit eini­gen sehr kit­schi­gen Momen­ten. Aber viel­leicht muss man sich dar­auf ein­las­sen, dann wächst das Album mit jedem wei­te­ren Hören etwas mehr. Nick Cave selbst meint dazu: „There’s no fuck­ing around with this record. When it hits, it hits. It lifts you. It moves you.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Vorfreude aufs kommende Konzert

Am 24. Sep­tem­ber wird sich der Hohe Pries­ter mit sei­nem Anhang in der Rudolf Weber Arena in Ober­hau­sen sei­ner Gemeinde stel­len. Selbst­ver­ständ­lich werde ich die­ser Zere­mo­nie bei­woh­nen. Und ich bin über­zeugt: Auch ich werde ihm wil­lig fol­gen… Ich werde spä­ter Bericht erstatten.