Nick Cave & The Bad Seeds
24. September 2024 • Rudolf-Weber-Arena, Oberhausen
Heute startet Nick Cave mit seiner Band The Bad Seeds seine Europa-Tour zum aktuellen Album „Wild God“ in der nahezu ausverkauften Rudolf-Weber-Arena in Oberhausen. Ein Konzert, das auch Gabi keinesfalls verpassen wollte, leicht überhastet erwarb sie daher zwei Tickets: sehr gute Plätze mit sogenanntem VIP-Modus und entsprechend teuer, sicher nicht nötig, am Ende aber doch lohnenswert. Auch bemerkenswert die Vorgruppe: Dry Cleaning, zu der Klaus, der mit Alex ebenfalls auf dem Konzert ist, später nur kurz bemerken wird „langweilig“. Ich habe diese erfrischend lässige Post-Punk-Band schon mehrfach gesehen, aber natürlich noch nie in einem so großen Rahmen. Wir sind also voller Vorfreude…
Hallo Echo
Aus uns zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Gründen wurde der Konzertbeginn um eine Viertelstunde auf 19:15 Uhr vorverlegt und tatsächlich startet die Show mit Dry Cleaning exakt um diese Zeit. Die Helden des Post-Punk-Sprechgesangs spielen eine überzeugende Mischung ihrer Discografie – was nicht überzeugt, ist der Sound in dieser riesigen Halle. Wir sitzen im Unterrang, der gesamte Sound schallt aber ausschließlich in die Mitte der Halle und echot zum Teil sehr unangenehm von der gegenüberliegenden Hallenseite zurück. So ist trotz toller Performance das Gesamterlebnis nur leidlich befriedigend. Wie diese Band eine kleine Halle abrocken kann, habe ich an dieser Stelle ja schon einmal berichtet. Ich liebe die Londoner und würde sie mir jederzeit wieder anschauen, aber nicht in der Rudolf-Weber-Arena.
Einfach unbeschreiblich
Mein Bericht über die Show von Nick Cave and The Bad Seeds, stand zunächst bereits in folgender Version im Netz: „Was dann folgt ist einfach überwältigend und mit Worten nicht zu beschreiben. Entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten werde ich also keine Worte über das Konzert verlieren und stattdessen nur die Bilder sprechen lassen. Lasst sie auf euch einwirken und schaut euch die Videos an.”
Now is the time for Joy
Einen Tag später denke ich, das wird diesem einzigartigen Ereignis einfach nicht gerecht. Ich will also doch versuchen, Worte zu finden, die dieses Erlebnis ganz persönlich beschreiben. Da dies das Auftaktkonzert der Tour ist, darf man erwarten, dass noch jegliche Routine fehlt. Sicherlich wird noch ausgetestet, wie das Publikum auf bestimmte Dinge reagiert, auch werden die Musiker*innen noch relativ spontan und authentisch agieren. Und tatsächlich: Als das vielköpfige Ensemble die Bühne betritt, scheinen alle positiv aufgeregt und förmlich darauf zu brennen, dieses Set zu spielen. Sie starten mit dem Song „Joy“. Ein ruhiger, zarter Einstieg, den man durchaus programmatisch interpretieren kann: Habt Spaß, genießt den Abend: „We’ve all had too much sorrow, now is the time for joy“. Mit „Frogs“ und „Wild God“ folgen zwei weitere Tracks vom aktuellen Album. Nick Cave wird dabei nicht müde, immer wieder den Kontakt zum Publikum zu suchen und dabei ständig zu betonen „You are beautiful“. Der Hohe Priester rennt die Bühnenrampe ab und gibt sich händeschüttelnd ganz seinen Schäfchen hin, die ihrerseits völlig verzückt die Nähe ihres Idols suchen. Es ist ein Abend voller emotionaler Momente. Ein erster Höhepunkt ist der Song „Oh Children“, den er mit den Worten einleitet: „It’s a sad song. I wrote it about 20 years ago when I watched my children play.“ Er mag dabei auch an seine beiden verstorbenen Söhne Arthur und Jethro gedacht haben. Nach diesem Song verbreitet sich spürbar ein melancholischer Zauber im Publikum.
Look at me now
Und dann gleich im Anschluss ein weiterer großer — wenn nicht der größte — Moment des Abends: „A depressive song about a woman in Jubilee Street“. Und wenn Cave dann am Ende immer wieder ekstatisch ausspuckt „I’m transforming, I’m vibrating, I’m glowing. I’m flying, look at me now“, glaubt man dies aufs Wort. Völlig außer Rand und Band gerät er, wie nicht anders zu erwarten, bei dem auf der ewigen Bestenliste notierten Song „From Her to Eternity“, geschrieben von seiner Ex-Partnerin Anita Lane. Wie die Derwische toben Cave und Ellis über die Bühne, springen sich in alter Pogo-Manier an und zucken vor Ekstase – so sehr, dass Cave sich am Ende bei seinem Partner in Crime erkundigt „Warren, are you ok?“. Jetzt braucht das Ensemble mit den ruhigen, getragenen Tracks „Long Dark Night“ und „Cinnamon Horses“ erst mal eine kleine Verschnaufpause, um sich bei dem folgenden treibenden „Tupelo“ – „a song about Elvis Presley, or better, his place of birth“ – wieder richtig auszutoben zu können. Längst liegt das Publikum Cave total gebannt zu Füßen, es ist völlig ruhig trotz der rund 10.000 Besucher*innen. Als irgendwann doch ein Zwischenruf die Ansprache Caves stört, maßregelt er den Störer lächelnd „try to fucking concentrate, listen!”. Man spürt jede Sekunde den Spaß und die Konzentration, die von der Bühne ausgehen. Und das überträgt sich auch auf das Publikum. Voller Andacht verfolgt es das Spektakel auf der Bühne.
It‘s a German thing
Besonders bewegend auch das Liebeslied „O Wow O Wow (How Wonderful She Is)“, gewidmet seiner 2021 verstorbenen Ex-Freundin Anita Lane, einem der Gründungsmitglieder der Bad Seeds. Deren Stimme, entnommen von Caves Anrufbeantworter, wird eingespielt, parallel dazu wird eine Filmsequenz eingeblendet, auf der Lane tanzend am Strand zu sehen ist. Cave seinerseits greift diesen Tanz auf und bewegt sich wiegend im Gleichklang mit seiner ehemaligen Weggefährtin. „Do you remember we used to really, really have fun? / ‚Cause we’d be just by ourselves, mucking around, really relaxed.“ Nick Cave & The Bad Seeds beenden ihre Zeremonie nach gut zwei Stunden mit „White Elephant“, einem Track des Cave/Ellis Albums „Carnage“. Anschließend packt die Band noch eine halbstündige Zugabe obendrauf, unter anderem mit dem Swamp-Stomper „Papa Won’t Leave You, Henry“ und einer gefühlvollen Piano-Interpretation von „Into My Arms“, bei der Cave das Publikum auffordert, leise mitzusingen. Wahrscheinlich hätte die Band in ihrer Spielfreude noch weiter gemacht, aber „We have to stop. It’s not our fault. It‘s a German thing. It‘s a curfew.” Das erklärt dann auch die viertelstündige Vorverlegung der Show, denn die Band hätte wahrscheinlich sogar noch länger gespielt — vielleicht hätte man einfach noch früher beginnen sollen. Aber so werden wir mit den besten Wünschen verabschiedet „Peace and Good Tidings to all Things“. Nick Cave und Band schafften es, die triste Rudolf-Weber-Arena in eine emotionale Welt zwischen Dunkelheit und Licht zu verwandeln und eine Atmosphäre intensiver Intimität zu schaffen. Eine letzte Bemerkung noch: Insgesamt kommt der Sound deutlich kompakter und voluminöser daher als bei der Vorband, aber leider gibt es auch im Haupt-Act Momente mit jenen störenden Echoeffekten, beispielsweise bei dem kraftvollen „Conversion“. Bleibt die Frage: Warum veranstaltet man solche Konzerte in dermaßen ungeeigneten Hallen?
Privilegiertes Parken
Da wir ein sogenanntes VIP-Ticket erworben haben, gibt es neben einem völlig überflüssigen Merch-Paket zumindest noch einen sehr günstig gelegenen Parkplatz, so dass wir dem vorprogrammierten Verkehrschaos größtenteils entgehen. Obwohl selbst das gar nicht nötig gewesen wäre, denn scheinbar bewegen sich alle auf einer Love-and-Kindness-Wolke nach Hause. Man gibt sich geduldig und fädelt sich entrückt lächelnd in den Autokorso ein.
Hier noch ein tolles Video, geteilt von Ruby Tuesday