Wer die Wahl hat, hat die Qual…

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Protomartyr
20. August 2024 • Gebäude 9, Köln

Heute fin­den zwei äußerst inter­es­sante Kon­zerte statt: Sowohl die ame­ri­ka­ni­sche Indie-Rock-Band Slea­ter Kin­ney als auch die Detroit Post-Pun­ker Pro­tom­ar­tyr spie­len in Köln Letz­tere habe ich zwar im August 2018 schon mal im ZAKK live erlebt, den­noch kann ich mich nicht fest­le­gen. Soll doch das Los ent­schei­den: Die Musik­zeit­schrift Vision ver­lost Tickets für das Kon­zert der ehe­ma­li­gen Riot Grrls. Lei­der gewinne ich dabei keine Tickets, also bestimmt For­tuna, dass ich zu den Kra­wall­brü­dern aus Detroit gehe. Sie spie­len im Gebäude 9 in Deutz.

Gefrickel und Geniedel

Pünkt­lich um acht lei­tet der tsche­chi­sche Musi­ker und Elek­tro-Frick­ler Michael Nech­vá­tal unter sei­nem Alias Kult Masek den Kon­zert­abend ein. Allein mit sei­nem ana­lo­gen modu­la­ren Syn­the­si­zer bestrei­tet er das Vor­pro­gramm. Er prä­sen­tiert sein neues Album „Wal­nut Instru­ment / Bal­let for Skep­tics“. Die Idee dazu ist stark vom fran­zö­si­schen Avant­gar­de­kom­po­nis­ten Jean-Yves Bos­seur und des­sen Album „Musi­ques Ver­tes“ inspi­riert. Nech­vá­tal greift die Idee wie­der auf, mit einem modu­la­ren Sys­tem mög­lichst orga­ni­sche Klänge zu erzeu­gen. Vor Jah­ren habe ich eine Auf­füh­rung von John McEn­tire, Sam Prekop und Tho­mas Schnei­der in der Film­werk­statt Düs­sel­dorf (07.05.2017) erlebt, in der der Sound eben­falls mit modu­la­ren Syn­the­si­zern erzeugt wurde. Nur ein paar ver­sprengte Musik-Freaks und Nerds bestaun­ten damals das Trei­ben. Ohne das Ganze zu ver­ste­hen, genoss auch ich die Vor­stel­lung. Heute im Gebäude 9 emp­finde ich diese Sound-Tüf­te­leien als Ein­stim­mung für ein Post-Punk-Kon­zert als völ­lig unpas­send und ner­vig. Allein mein guter Platz in der erste Reihe hält mich vom flucht­ar­ti­gen Ver­las­sen des Kon­zert­saals ab. Nach einer hal­ben Stunde ver­ab­schie­det das Publi­kum den Künst­ler mit wohl­wol­len­dem, war­mem Applaus. Leise und schüch­tern ver­lässt er die Bühne. Begeis­te­rung klingt anders.

Düster und intensiv

Als Pro­tom­ar­tyr die Bühne betre­ten, fällt wie­der auf, wie wenig Auf­tre­ten und Aus­se­hen der Musi­ker zu ihrer Musik pas­sen. Bas­sist Scott David­son würde auf jedem Heavy-Metal-Kon­zert eine gute Figur machen. Gitar­rist Greg Ahee ist der sym­pa­thi­sche, unschein­bare Fami­li­en­va­ter von nebenan und Front­mann Joe Casey wirkt eher wie ein schmer­bäu­chi­ger, des­il­lu­sio­nier­ter Gebraucht­wa­gen­händ­ler als wie der Sän­ger einer aggres­si­ven Punk­band. Auch Schlag­zeu­ger Alex Leo­nard, wenn auch im Halb­dun­kel hin­ter den Drums ver­steckt, sieht nicht so aus, als er würde er gleich mit sei­nem har­ten und kom­ple­xen Drum­ming die Band vor­wärts­trei­ben. Ich hatte gehofft, dass das Quar­tett wie üblich von Kel­ley Deal, bes­tens bekannt als Musi­ke­rin von The Bree­ders (ihrer eige­nen Band mit Zwil­lings­schwes­ter Kim Deal), ver­stärkt wird. Lei­der über­nimmt die­sen Job ein Gitar­rist, der gele­gent­lich auch das Key­board bedient und des­sen Namen ich nicht ver­stan­den habe. Aber sein Gitar­ren­spiel ergänzt die ohne­hin schon dichte Klang­land­schaft und ver­stärkt sie mit melan­cho­li­schen und dis­so­nan­ten Ele­men­ten. Unauf­ge­regt und ohne jeg­li­che Begrü­ßung star­ten sie auch gleich ihr Set: Auf „Mai­den­head” von ihrem 2014er Album „Under Color of Offi­cial Right“ fol­gen naht­los die bei­den aktu­el­len Tracks „For Tomor­row“ und „Eli­mi­na­tion Dances“, mit „The Her­mit“ begibt man sich dann zurück zum 2015er Album „The Agent Intellect“. Und so geht es ohne große Unter­bre­chung wei­ter durch eine gelun­gene Mischung aktu­el­len und alten Mate­ri­als. Im Mit­tel­punkt des Büh­nen­ge­sche­hens steht dabei ohne­hin Gries­gram und Anti-Rock-Star Casey, der wie immer mit einer Fla­sche Bier in der Hand und je einer in den bei­den Jacken­ta­schen meist schrei­end, manch­mal redend, manch­mal sin­gend um den Mikro­stän­der schleicht und seine Lyrics aus­spuckt. Das meiste davon ist nicht ent­zif­fer­bar, dabei haben die viel­schich­ti­gen, düs­te­ren Texte nahezu lite­ra­ri­sche Qua­li­tä­ten und the­ma­ti­sie­ren sar­kas­tisch The­men wie Unge­rech­tig­keit, Kor­rup­tion und Macht­miss­brauch oder auch eigene Ängste und Unsi­cher­hei­ten und pas­sen in ihrer dunk­len, pes­si­mis­ti­schen Tona­li­tät per­fekt zum har­schen Post-Punk-Sound der Band. Hin und wie­der rich­tet Casey zwi­schen die­ser Wall of Sound dann doch noch die eine oder andere lako­ni­sche Bemer­kung an das Publi­kum – und am Ende heißt es dann: „We still have two more songs and both are very good.“ So been­den sie ihr Set mit dem aktu­el­len „Pon­tiac 87“ und „Pro­ces­sed by the Boys“ aus 2020. Sie las­sen es sich aber nicht neh­men, noch eine Zugabe zu geben, schließ­lich hat Casey noch nicht seine letzte Fla­sche Bier geleert. Zurück auf der Bühne sin­niert er erst ein­mal dar­über, wie kom­pli­ziert das Ent­kor­ken einer Bier­fla­sche ist, um wenig spä­ter den Song „Ain’t So Simple“ (!) anzu­stim­men. Nach zwei wei­te­ren Tracks ist die Show dann end­gül­tig vorbei.

Immer was zu meckern

Ins­ge­samt ist die­ser Live-Auf­tritt wie­der ein inten­si­ves Erleb­nis, aller­dings auch irgend­wie erwart­bar und wenig über­ra­schend. Es ist so, wie ich die Band bereits damals im ZAKK erlebt habe, wenn auch mit zum Teil ande­rem Song-Mate­rial. Viel­leicht wäre ich daher doch bes­ser zu Slea­ter Kin­ney gegan­gen, denn die habe ich bis­her noch nicht auf der Bühne gese­hen. Und dann muss ich auch noch fest­stel­len, dass ich ein Knöll­chen wegen Falsch­par­kens hin­ter dem Schei­ben­wi­scher ste­cken habe. Na ja, aber das ist alles Jam­mern auf hohem Niveau.