Vom Dorfpunk zum Pudel-Philosophen

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Rocki Schamonis Pudels Kern“ ist eine Zeitreise in die Jahre des deutschen Punk, in die Kellernächte der Subkultur, aber vor allem die Suche eines Getriebenen nach seinem innersten Ich.

Das also war des Pudels Kern!“, ruft Goe­thes Faust, als sich der schwarze Hund in Mephisto ver­wan­delt. Der berühmte Aus­ruf steht sinn­bild­lich für Trans­for­ma­tion – aber auch für das Essen­zi­elle, das, was unter der Ober­flä­che liegt. In Pudels Kern“, einem Buch, das man durch­aus als Fort­set­zung sei­nes auto­bio­gra­fi­schen Romans Dorf­punks“ lesen kann, erzählt Rocko Scha­moni von den prä­gen­den Jah­ren sei­ner künst­le­ri­schen Selbst­wer­dung in der Ham­bur­ger Sub­kul­tur. Grund­lage sind Tage­bü­cher, Kalen­der­no­ti­zen und Erin­ne­run­gen – dar­aus ent­steht ein lite­ra­ri­scher Par­cours durch Exzess, Eska­pis­mus und exis­ten­zi­elle Suche.

Selbstfindung mit Hall und Hadern

Pudels Kern“ ist kein klas­si­scher Roman, kein glat­tes Memoi­ren­buch. Es ist ein epi­so­den­haf­tes, bei­nahe musi­ka­li­sches Werk: ein Mix­tape der Seele, vol­ler Hall, Hadern und Herz­blut. Scha­moni berich­tet von sei­nem Auf­bruch aus der ost­hol­stei­ni­schen Pro­vinz in das bro­delnde Ham­burg – irgendwo zwi­schen Pfle­ge­heim, Fisch­markt und Under­ground-Clubs. In die­ser fieb­ri­gen, rauen Welt häu­tet sich der junge Tobias Albrecht zum Künst­ler Rocko Scha­moni. Doch der Wan­del ist schmerz­haft: Ver­letz­lich und von Selbst­zwei­feln geplagt, sucht er Anschluss – fin­det aber keine Erlösung.

Zwischen Größenwahn und Zusammenbruch

Der Ozean mei­ner Ängste war ufer­los“, schreibt Scha­moni. Zwi­schen Grö­ßen­wahn und Depres­sion, zwi­schen krea­ti­ver Hoch­span­nung und inne­rer Leere tau­melt er durch die Nächte. Ängste, Neu­ro­sen und die Last einer über­emp­find­li­chen Jugend hal­ten ihn fest im Griff. Alko­hol, Speed, Abstürze – nicht als Pose, son­dern als Teil der Wirk­lich­keit wer­den diese Eska­pa­den geschil­dert. Die Nächte sind ohne Rausch kaum aus­zu­hal­ten. Gleich­zei­tig sind sie auch Brenn­stoff – für Lie­der, Gedan­ken, Kunst. Doch nach jedem Höhen­flug kommt der tiefe, depres­sive Absturz.

Starke Frauen, prägende Freundschaften

Oft sind es Frau­en­fi­gu­ren, die ihn immer wie­der auf­bauen. Anders als viele Män­ner in sei­nem Umfeld sind sie kla­rer, weni­ger kinds­köp­fig, selbst­be­stimm­ter. Fren­chy“, Susanne“, Jette“, Ber­na­dette“ brin­gen Scha­moni immer wie­der in die Spur. Über­haupt lebt das Buch von Begeg­nun­gen. Über­haupt Namen: Im Rin­gen um sei­nen künst­le­ri­schen Aus­druck hel­fen ihm nicht die gro­ßen Player der Musik­in­dus­trie, son­dern seine vie­len Künst­ler­kon­takte. Und man fragt sich mit­un­ter: Wen hat Rocko Scha­moni eigent­lich nicht getrof­fen? Mit wem hat er sich nicht die Kante gege­ben, über Musik phi­lo­so­phiert und über Kunst gestrit­ten? Er trifft die Zitro­nen, die Ärzte, die Hosen, die Neu­bau­ten, Helge Schnei­der, Kris­tof Schreuf, Tobias Gruben. 

Kein billiges Namedropping

Dabei betreibt Scha­moni kein eit­les Name­drop­ping, son­dern es ist eine warme Wür­di­gung sei­ner Weg­be­glei­ter*, Freund* und Förder*innen. Er hängt herum mit der Punk­band Die Gol­de­nen Zitro­nen, tourt mit ihnen — und vor allem Mit­glied Schorsch Kame­run wird ein enger Ver­trau­ter, mit dem er spä­ter auch den legen­dä­ren Gol­den Pudel Club“ eröff­net. Auch ist immer wie­der die Rede vom Maler­freund Daniel aus Lüt­jen­burg, Daniel Rich­ter, einer der bedeu­tends­ten zeit­ge­nös­si­schen Künst­ler des Lan­des. Er bestärkt Rocko Scha­moni in sei­nen dunk­len Pha­sen, wei­ter Musik zu machen, über­re­det ihn, an die Kunst­hoch­schule zu gehen. So lernt er auch Jona­than Meese ken­nen. Oder Helge Schnei­der, der ihm ein neues Ver­ständ­nis von Humor ver­mit­telt. Es sind sol­che Lang­zeit­be­zie­hun­gen oder eben auch kurze augen­öff­nende Begeg­nun­gen die Scha­moni auf­rich­ten und weitertreiben.

Der Künstler und sein Konflikt

Als Poly­dor ihn zum Tee­nie-Star auf­bauen will, sabo­tiert Scha­moni das Pro­jekt sehen­den Auges. Er will sicht­bar sein – aber nicht gefäl­lig. Der innere Kon­flikt zwi­schen Authen­ti­zi­tät und öffent­li­cher Rolle bleibt ein zen­tra­les Motiv. Als Musi­ker schei­tert er – weil er kein Oppor­tu­nist ist. Als Club­be­trei­ber aber wird er zur Kult­fi­gur. Mit dem Gol­den Pudel Club schafft er einen Ort für das Andere, das Schräge, das Freie. Oder wie er es nennt: schö­ner, spa­cki­ger Erfolg.“ Ein fun­keln­der, bis­si­ger, klei­ner Köter, der der Stadt und ihren Besu­chern in die Fes­sel bei­ßen wird.“

Willkommen zu Hause, Bruder“

Der letzte Satz des Buches – Will­kom­men zu Hause, Bru­der“ – ist nicht nur ein Gruß an den Leser, son­dern ein inne­rer Wen­de­punkt. Er mar­kiert die geglückte Trans­for­ma­tion vom getrie­be­nen Dorf­punk zum gereif­ten, selbst­be­wuss­ten Künst­ler. Pudels Kern“ ist wild, wit­zig, weise – und gerade des­halb so stark. Kein fein­ge­schlif­fe­nes Meis­ter­werk, son­dern ein unge­stü­mer Lebens­be­richt vol­ler Risse und Glanz. Für alle, die wis­sen – oder sich erin­nern wol­len –, wie sich Selbst­su­che wirk­lich anfühlt.

Rocko Schamoni, Pudels Kern

Rocko Scha­moni
Pudels Kern
304 Sei­ten
Ver­lag: Han­ser Literaturverlage

Andere Meinungen:

Pudels Kern’ ist ein hin­rei­ßen­des, ehr­li­ches, immer wie­der komi­sches Zeug­nis über das harte Brot der frü­hen Jahre, in denen einer ver­suchte, mehr zu sein, als er eigent­lich ist. Oder war es doch ganz anders? Wurde hier einer der, der er tat­säch­lich ist und immer war? […] Als lite­ra­ri­scher Meis­ter der Selbst­in­sze­nie­rung ver­edelt Scha­moni den Stoff sei­nes Lebens. Da wird noch mehr kommen

Tho­mas Andre, Ham­bur­ger Abend­blatt, 12. April2024 

Rocko Scha­moni erzählt, wie er die kol­lek­tive Kunst der Sub­ver­sion ent­deckte – und dabei aber immer mit dem Minus‘ in sei­ner Seele haderte, Treib­stoff, Quäl­stoff sei­ner Pro­duk­ti­vi­tät: Pudels Kern’ erzählt Ham­bur­ger Pop­so­zi­al­ge­schichte aus dem Inneren.

Tobias Rüt­her, Frank­fur­ter All­ge­meine Sonn­tags­zei­tung, 09. Juli 2024