Yard Act
27. April 2024 • Kantine, Köln
Wie habe ich das 2022er Album „The Overload“ von Yard Act geliebt, und dann machen sie mit dem Folgealbum „Where’s my Utopia“ alles anders. Humor und Energie sind immer noch vorhanden, aber es gibt deutliche musikalische und klangliche Verschiebungen, es ist nicht mehr so düster und post-punkig, dafür klanglich abenteuerlicher und vielfältiger, und es gibt mehr zum Tanzen. „We Make Hits“ ist nunmehr ihre Devise – aber auch das machen sie verdammt gut. Also auf nach Köln in die Kantine, mal schauen, ob sie das auch performen können.
The Leeds Family
Doch vor dem Hauptact betritt zunächst der aus Manchester stammende Murkage Dave die Bühne – zusammen mit einem Ghettoblaster. Also Kassette rein und ab dafür. Seine Musik bewegt sich im Grenzbereich verschiedener urbaner Music-Styles — ein bißchen Break-Beat, etwas Grime und Hip-Hop sowie eine ganze Menge Soul. Ein Gemisch, das beim noch spärlichen Publikum extrem gut ankommt. Schon nach den ersten beiden Stücken hat er es komplett auf seiner Seite — aber er tut auch einiges dafür: Seine Performance ist leidenschaftlich und mitreißend, und mit seinem variantenreichen, von kraftvoll und energetisch bis hin zu sanft und einfühlsam reichenden (Sprech)Gesang zieht er einen ohnehin unwillkürlich in den Bann. Er ist halt auch ein sehr aufmerksamer Entertainer, erzählt kurze Geschichten zwischen den einzelnen Tracks, lobt Yard Akt „proud to be here with my Leeds Family Yard Act, they are so warm and nice people”, fordert Applaus, indem er auf den Taperecorder zeigt und sagt „make some noise for my band”, und warnt alle davor London zu besuchen: „It’s a trap” – so heißt dann auch der Track, den er spielt „Please Don’t Move To London It’s A Trap“. So endet nach 30 überaus unterhaltsamen Minuten seine Show.
Keine Atempause
Alles läuft nach Plan: Nachdem Murkage Dave überpünktlich begonnen hat, lässt auch Yard Act nach einer notwendigen, kurzen Umbaupause nicht lange auf sich warten. So gar nicht mein Style, aber an diesem Abend passt es: Zu „The Man Who Sailed Around His Soul“ von XTC hüpft die Band auf die Bühne. Auffallend: Die vierköpfige Truppe aus Leeds wird um einen Multiinstrumentalisten, der auf einem amtlichen DJ-Podest mit der Leuchtschrift „Where’s My Utopia?“ thront (leider habe ich seinen Namen nicht verstanden), und um die Sängerinnen Lauren Fitzpatrick und Daisy Smith erweitert. Der Saal hat sich mittlerweile auch gut gefüllt, wobei das Publikum im Schnitt mindestens doppelt so alt ist wie die Twens aus Leeds, aber allen scheint‘s zu gefallen. Die Band gibt sich ausgesprochen ausgelassen und wird entsprechend vom Publikum abgefeiert. Ich bin jedenfalls bereits nach den ersten drei Tracks völlig verschwitzt. Sie starten die Show zunächst noch verhalten mit „An Illusion“, geben dann aber mit dem folgenden „Dead Horse“ und „When The Laughter Stops“ kräftig Gas, bevor sie mit „Petroleum“ die Energie noch weiter anheizen — auch live ein Track, der stark an den Beck der 90er erinnert. Mit „Land of the Blind“ folgt dann wieder ein Track von „The Overload“ – und so rasen Smith und Co. durch ihr gesamtes Oeuvre, unaufhörlich treiben Schlagzeuger Jay Russell und Bassist Ryan Needham das Geschehen voran, während Sam Shipstone seine Gitarre virtuos bearbeitet. James Smith jagt in einer beängstigenden Geschwindigkeit durch seine intelligenten, gesellschaftskritischen und oft komischen Texte. Dazu gibt es viel Elektronisches und auch mal wie bei „Fizzy Fish“ ein Saxophonsolo vom DJ-Pult, Lauren Fitzpatrick und Daisy Smith wirbeln ebenfalls mächtig über die Bühne und reißen eine Riesenshow ab — Spielfreude und Energie der Bühne übertragen sich unmittelbar auf das Publikum.
Das Beste aus dem Moment machen
Nach dem vierzehnten Track „A Vineyard for the North“ gibt es eine kurze Verschnaufpause, aber dann geht es auch gleich mit dem Knaller „100% Endurance“, ebenfalls vom Debütalbum „The Overload“, in die Zugabe. Passend zu dem Song bemerkt Smith: „Very few of us in this life will know what it means to be truly free” und zollt den Menschen in der Ukraine, im Sudan und in Palästina Respekt, während er das Publikum eindrücklich auffordert, das Beste aus dem Moment zu machen, denn wir haben doch soviel zu geben. Den Abschluss des Abends bildet „Trench Coat Museum“, ein überbordender psychedelischer Gitarrensong, der den Saal genüsslich aus den Angeln hebt, und zu dem auch Supporter Murkage Dave noch mal als Gastsänger richtig Gas gibt.
Am Ende sind alle – auf der Bühne und davor – happy und erschöpft.