Your Heterosexual Violence (YHV) wurde 1982 im Londoner Stadtteil Woolwich gegründet und zählte zur Underground Punk- und Post-Punk-Szene. Unkonventionelle Live-Auftritte und eine kompromisslose DIY-Haltung war damals eine weitverbreitete Attitüde – so auch bei YHV. Einige ihrer Zeitgnoss*innen schafften den Sprung ins Rampenlicht. YHV bleiben im Underground verwurzelt. Das ursprüngliche Line-up trennte sich 1988 – danach gingen die Ursprungsmitglieder, namentlich der Sänger Brian O’Brien und der Gitarrist David Dodd, eigene Wege, unter anderem mit der Band The Dispossessed. Erst 2017 kehrte die Band zurück – mit alter Wut, aber zeitgemäßer Entschlossenheit. Neben O’Brien und Dodd sind nun auch diese Musiker*innen Teil des Projekts: Andi Panayi am Schlagzeug, Simon Birch an Hammond-/Fender-Rhodes-Orgel und Jemma Freeman (they/them) an Bass und Gesang. Tatsächlich erscheint im September 2025 ein neues Album – ihr vrspätetes Debüt. Das soll – so sagt Brian O’Brien – jene unvollendete Geschichte zu Ende erzählen, die sie vor 40 Jahren begonnen hatten.
No search results for weatherman on drugs
The train pulls in and stops, then starts and chugs
We’re looking for a way out of this place
But we’ll still dig roots here anyway just in case
Textausschnitt aus „No Search Results (for Weatherman On Drugs)“
„Some People Have Too Much To Say“ ist das erste reguläre Album von Your Heterosexual Violence – und zwar knapp 40 Jahre nach ihrer Gründung. Viele Songs gehen auf Ideen und Proben aus den frühen 1980er Jahren zurück – Stücke, die damals nie voll entwickelt oder aufgenommen wurden. Dennoch klingt das Album nicht wie ein nostalgischer Griff zurück – alte Wurzeln finden zur neuer Frische und Kreativität.
Klangliche Vielfalt
Schon im ersten Song „House Outside The World“ zeigt sich diese Mischung: Ein poppiger, idealer Einstieg in das Album – ein Track, der mit Melodie und Groove überzeugt, tanzbar und voller Energie. Danach geht es gleich weiter mit „The Plan“: Ein noisiger, hektischer Ausbruch mit einer Ansage der Band, die so auch von Mark E. Smith stammen könnte, wobei der sicherlich nicht so vorbildlich gegendert hätte: „Ladies and gentlemen /And Transgender Neutrals /It’s good to be with you /Hope the feeling is mutual. /We are the mighty Your Heterosexual Violence. /This is our Dharma /We hope you love it /And if you don’t /You can fuck off and shove it.“ Und im Background wird doch tatsächlich das Hare-Krishna-Mantra intoniert. Ganz groß. Es geht weiter mit Kraut-Artigem, leichten Jazz-Anleihen, dazu gesellen sich Hammond- und Sax-Orgien und gelegentliche Ska-Ausflüge – garniert mit scharfen Texten, manchmal bitter, manchmal komisch, aber fast immer eindringlich. Ein Sound, der einen unweigerlich in die wilden punkigen 80er katapultiert – das ist retro, macht aber ungemein viel Spass. Nicht zuletzt wegen der Lyrics.
Surreal und humorvoll
Mir surrealem Unterton, jeder Menge Humor und einem politisch-sozialem Blick. Werden Themen wie Entfremdung, psychische Gesundheit, Liebe, Desillusionierung und soziale Kälte verhandelt. Doch trotz allem mitschwingt eine Art Wut, aber auch Mitgefühl — und nicht selten ein schwarzer Humor, der das Ganze entschärft und gleichzeitig verstärkt. Ein Song wie „Valentine’s Day“ etwa — mit Verweisen auf politische und soziale Kontrolle — wirkt fast wie ein post-modernes Manifest, zugleich unaufdringlich und kompromisslos. Und andere Stücke — etwa Man in Flames (at C&A) oder The Boy Who Had 10,000 Parents — erzählen tragische Geschichten voller Wut, Verzweiflung und Schmerz — ausgedrückt in theatralischem Ton, als seien sie Teil absurder Theaterstücke. Mit einer seltsamen, poetischen Kraft geht das Album zu Ende: „No Search Results (for Weatherman on Drugs)“ besticht durch Atmosphäre, Lässigkeit und Nachdenklichkeit. Der Song hebt sich von der ruppigen Energie des Albums ab setzt kritisch-ironisch, inhaltlich zugespitzt undystopisch einen resignierten Kommentar zur Gegenwart.
Unpoliert und rauh
Produziert wurde das Album von Andy Ramsay (u.a. bekannt durch seine Arbeit mit der Band Stereolab), was maßgeblich dazu beiträgt, dass der Sound gleichzeitig rau, unpoliert und doch atmosphärisch dicht wirkt. Hinzu kommt die musikalische Breite: Neben Gitarren und Punk-Energy gibt es Hammond-Orgel, Saxophon, Violine – Elemente, die den Post-Punk-Rahmen sprengen und das Album organisch wachsen lassen. Damit klingt YHV nicht wie eine Retro-Band, sondern wie eine lebendige, atmende Formation, die ihre Geschichte in die Gegenwart trägt.
Alte Werte, neu entfacht
„Some People Have Too Much To Say“ ist ein Comeback mit Klang, Wut und Vision. YHV zeigen, dass sie nicht nur ihre Vergangenheit verstehen, sondern sie auch transformieren können: in Songs, die sich genauso anhören, als könnten sie morgen geschrieben worden sein. Das Album ist wild, unberechenbar, faszinierend — manchmal verstörend, manchmal komisch, immer ehrlich. Es vereint Punk-Attitüde, Theatralik, Post-Punk-Ästhetik und poetische Tiefe. Für eine Band, die 40 Jahre brauchte, um ein Debütalbum zu veröffentlichen, ist dieses Werk eine starke, glaubwürdige und überraschend zeitgemäße Aussage: rohe Energie, schiefe Töne, scharfzüngige Texte und jede Menge Humor. Gehört in die Playlist.


